[Sommerbücher]

Sie saßen in dem düsteren, getäfelten Zimmer unter Drucken mit Segelschiffen. Das Telefon klingelte. Er betrachtete die verkohlten Scheite, die im Kamin zusammengefallen waren, das Feuer von gestern Abend, und sie beobachtete ihn. Die Bücher auf den unteren Regalen waren größtenteils Sommerlektüre, wie man sie in Ferienhäusern findet, Bücher, die zu ihrer Rolle passen, mit verblassten Umschlagillustrationen anderer Häuser in anderen Sommern, oder Almanache oder Atlanten, mit einem ausgebleichten Streifen am oberen Rand der höheren Bücher,

Aus: Don DeLillo. Körperzeit. Roman. Köln 2001. Seite 50.

[Kurzrezension]

Eben noch war Don DeLillo mit seinem dicken Roman "Unterwelt" dem Universal-Ziel der Welt, dem Müll, auf der Spur, jetzt setzt er sich mit einem relativ dünnen Roman mit der inszenierten Innenwelt der Menschen auseinander. Mit einer Frühstücksszene, die sicher in die Weltliteratur eingehen wird, eröffnet sich das Spiel der Seele wie von selbst. Ein Regisseur und eine Körperkünstlerin gehen sich während des Frühstücks auf den Soja-Schrot, der massenhaft in die Schüssel geschüttet wird. Das gesamte Frühstück ist eine Inszenierung, und alle Versuche, daraus auszubrechen, enden in einer noch perfekteren Performance. In der nächsten Szene erfahren wir, daß sich der Regisseur umgebracht hat, weil er mit der Verwirklichung der Wirklichkeit im Film nicht zurechtgekommen ist. Aber ein verhaltensgestörter Mr. Tuttle taucht ab jetzt im Haus auf, er kann den Verstorbenen so täuschend nachahmen, daß sich die Performancekünstlerin Lauren immer wieder die Vergangenheit durch die Performance des Irren in die Gegenwart holen läßt. Der letzte Teil des Romans beschäftigt sich mit den Vorbereitungen zu einer Aufführung, die Wirklichkeit in einem Kunstraum soll zu Hause erprobt werden. Letztlich gibt es keinen Unterschied zwischen Performance und Leben, denn die Verschachtelung der beiden Ebenen ist so komplex, daß kein Anführungszeichen der Welt unterscheiden könnte, was ein Original ist und was ein Zitat. So breitet sich auch im Publikum große Verstörung aus, denn statt Applaus wäre Anteilnahme gefragt, und wo das Stück persönlich genommen wird, geht es in Wahrheit um eine allgemeingültige Interpretation. Die Themen Innenwelt, Außenwelt, Inszenierung und Lebenslauf, persönliche Beziehung und öffentliche Interpretation sind auf eine erkenntnisreiche, den Leser ziemlich aufwühlende Weise dargestellt. Ein Weltroman! Eine Weltinszenierung!

Don DeLillo: Körperzeit. Roman. [The Body Artist]. A.d.Amerikan. von Frank Heibert. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2001. 140 Seiten. 209,- ATS. € 15,29. ISBN 3-462-02973-8 Don DeLillo, geb. 1936, lebt in New York.

Helmuth Schönauer 08/04/01