[Die Bibliothek als Nachschlagewerk zum keusches Leben]

Ich ging in die Bibliothek und las Ratgeber in Sachen Sexualleben. Einige der interessanteren betonten die Bedeutung der geistigen Seite. Es wurde dargelegt, wie der Mann der Frau geistigen Halt geben müßte, bevor sies bringen. Nach dem geistigen Halt wären erst mal die Vorspiele dran, weil viele Frauen überhaupt nicht so aus dem Stand bereit wären für den Geschlechtsakt wie die Männer. Diese Vorbereitungen wären wichtig, es gäbe nämlich viele Frauen, die würden eine sexuelle Befriedigung erst nach monatelangem Üben kriegen.[...]

Ein kleiner Ratgeber für Eheleute von Professor E.G.Gulin - später war er Bischof der Diözese Tampere - fiel mir in die Hände. Gulin empfiehlt den Ehepartnern am Bett knieend zu Gott zu beten, bevor sie sich ans Werk machen. So weit ich weiß, wird dieser Rat des Herrn Gulin aus den dreißiger Jahren in einigen gläubigen Kreisen auch heute noch befolgt. Gottseidank bin ich nicht gläubig.

Zufrieden mit dem, was ich gelernt hatte, verließ ich die Bibliothek.

Aus: M. A. Numminen: Tango ist meine Leidenschaft. Roman. Zürich, Haffmans 2000. Seite 249-250

[Kurzrezension]

Wie bei Fisch-, Pilz- oder Pfeffersorten gilt es auch beim Tango, eine Menge Spezialwissen anzuhäufen, will man über die Binsenweisheit hinauskommen, daß es einen Argentinischen und einen Finnischen Tango gibt. Das Studium des Tangos hat freilich eine angenehme Seite, man braucht nur eine Kassette einzuschieben und schon verändert sich das Leben. Völlig dem Tango verfallen ist Virtanen, der noch dazu im Anschluß einer Plato-Lektüre beschlossen hat, erst im Alter von fünfunddreißig geschlechtsverkehrsmäßig aktiv zu werden. Nun muß man wissen, daß der Tango eine erotische Angelegenheit ist. Ununterbrochen meldet sich Virtanens Geschlechtsorgan zum Dienst, was gerade bei engen Tango-Tänzen sehr hinderlich ist. Für diese Notfälle hat der Held allerdings eine kleine Peitsche mit, mit der er jedesmal aufs Klo verschwindet, um seinen Burschen schlaff zu züchtigen. Gegen Ende des Romans verliebt sich Virtanen unsterblich und muß sich peitschend an den fünfunddreißigsten Geburtstag herantasten, und dann kommt es erst zur Katastrophe. Die Geliebte erschrickt über den Ernstfall dermaßen, daß sie tot umfällt. In diese sagenhaft tolle Geschichte vom keuschen Leben sind immer wieder Tango-Reportagen und Features über die Finnische Musik eingelagert. Beispielsweise wird dramaturgisch hinterlistig berichtet, wie die Finnen das Leben in den Schützengräben nützten, um während der Kampfpausen des Winterkrieges am Finnischen Tango zu feilen. Der Held selbst hat für jeden Anlaß einen Tango vorrätig, er richtet seine Gefühle nach dem Text der Lieder, so daß er statt einen Tagebuches nur die angespielten Tangos notieren muß, um einen satten Lebenslauf zu dokumentieren. Für den Leser gibt es im Anhang 296 Tangos zum Auflegen, vorausgesetzt, man hat ein entsprechendes Tango-Repertoire im Musikkasten lagernd. M. A. Numminen hat einen aberwitzigen Roman geschrieben, für den man wahrscheinlich eine Polarnacht braucht, um ihn restlos auszukosten!

M[auri] A[ntero] Numminen: Tango ist meine Leidenschaft. Roman. A.d. Finn. von Eike Fuhrmann. Zürich: Haffmans 2000. 346 Seiten. 285,- ATS. [20,77 EUR]

M. A. Numminen, geb. 1940, lebt in Lempäälä/Finnland.

Helmuth Schönauer 10/08/00