[Buchverleih mit Risiko]

[...] Dann lese ich von Thomas Bernhard Wittgensteins Neffe. Das ist ein Buch, das ich vor Jahren schon einmal gelesen habe und das zu den fünf besten Büchern gehört, die ich kenne. Ich hatte das Buch verliehen und nie wiederbekommen und konnte es deshalb nicht noch einmal lesen, was ich immer wieder gerne getan hätte. Und weil ich das Buch schon einmal gekauft habe und es auch schon kenne, wollte ich es nicht noch einmal kaufen.

Ich vertrinke an einem Abend lockere siebzig Mark, und das kümmert mich kein bißchen, aber ich will keine zwölfmarkachtzig für ein Buch ausgeben, das ich schon kenne, so gerne ich es auch lesen würde. Das stimmt nicht ganz, weil das Buch, das ich damals verliehen habe, war eine gebundene Ausgabe, und die kostete um die dreißig Mark. Deshalb dachte ich immer, das Buch würde dreißig Mark kosten und habe es mir nicht gekauft. Neulich war ich dann in einer Buchhandlung, und da stellte sich heraus, daß es eine Taschenbuchausgabe von diesem Buch gibt. Und die habe ich dann gekauft. Für zwölfmarkachtzig. Aber jetzt, wo ich das Buch wieder lese, muß ich sagen, daß es sich auf jeden Fall lohnt, auch zweimal dreißig Mark für dieses Buch auszugeben. Weil man es edes Jahr einmal lesen sollte.

Obwohl ich das nicht gerne mache, Bücher mehrmals lesen. Vielleicht hängt das damit zusammen, daß das Lesen Arbeit ist, und die macht man nicht gerne doppelt. Ich habe nämlich keine Probleme damit, Filme mehrmals anzuschauen. Neulich habe ich ein Buch gelesen, von dem ich geglaubt hatte, es schon einmal gelesen zu haben, aber ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, weil ich immer alles ganz schnell vergesse und deshalb locker alle Bücher mehrmals lesen könnte. Weil ich also in dem Glauben war, das Buch zum zweiten Mal zu lesen, habe ich es eher lustlos gelesen. Obwohl mir alles neu war, was ich gelesen habe. Am Ende stellte sich heraus, daß ich das Buch noch nie gelesen hatte. Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich das Buch mir großer Freude gelesen. So habe ich lustlos darin herumgelesen, weil nichts anderes da war zum Lesen.

Mit dem Bernhard-Buch ist es etwas anderes. Das lese ich mit großer Freude ein zweites Mal. Freudiger noch als beim ersten Mal, weil ich so oft an das Buch gedacht habe und mich nicht richtig erinnern konnte und ganz gierig darauf war, es zu lesen. Vielleicht auch, weil ich es mir ein zweites Mal gekauft habe. [..]

Aus: Elke Naters, Königinnen. Köln 1998. Seite 47-49.

[Kurzrezension]

Gloria und Marie sind die Königinnen des Daseins, abwechselnd erzählen sie von ihren Wünschen und Träumen, von ihren Katastrophen und Leiden. Aber immer ist der Mittelpunkt der Geschichte klar, Marie und Gloria bestimmen Geschwindigkeit und Lauf der Welt. Dieser selbstbewußte Ton, mit dem in gleicher Weise über Trivialitäten wie über große Lebensentscheidungen hergezogen wird, bringt naturgemäß viel Ironie ins Spiel. Denn mit viel Überblick, in der Wirtschaft würde man es Marktübersicht nennen, muß jedem Tag erst sein spezieller Kick entlockt werden. Ein weites Betätigungsfeld für das Auffinden des alltäglichen Glücksgefühls bietet die Mode mit ihren einzigartigen Marken, Applikationen, Ritualen und stündlichen Innovationen. Allein modemäßig auf der Höhe zu sein, verschlingt beinahe schon ein ganzes Leben. Ein zweites Betätigungsfeld sind die permanenten Auseinandersetzungen mit den Männern, die immer zur falschen Zeit auftauchen, etwas Unanständiges wollen oder zumindest ununterbrochen schlecht und lächerlich riechen. Aber auch eine simple Wohnung muß ständig beobachtet werden, eine neue Wohnung ist ungemütlich steril und eine abgewohnte staubig und bedrohend. Es ist eine Kunst, eine griffig abgewohnte Wohnung zu finden und in diesem Zustand zu belassen. Und dann sind da noch die Kinder, die viel Mühe machen, oft im Weg stehen aber auch eine gute Waffe im Einsatz gegen kinderlose Kolleginnen sind. Dazwischen wird geredet und getalkt, daß man beinahe einen eigenen Fernseh-Kanal aufmachen könnte. Elke Naters Königinnen-Roman ist ein frischer Soundtrack zum Sinn des Lebens. Gerade die auf Sinn getrimmten Sätze strotzen vor fröhlichem Unsinn, während zwischen den Trümmern des Konsums oft die wunderbarsten Gedanken zum Überleben ausgestreut liegen. Die beiden Königinnen-Figuren ermuntern auch Männer zu einem Schuß Selbstbewußtsein, der nicht unbedingt ein Gnadenschuß sein muß.

Elke Naters: Königinnen. Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1998. 150 Seiten. 218,- ATS. [15,84 EUR]

Elke Naters, geb. 1963, lebt in Berlin.

[Helmuth Schönauer]