[Bücherei und gutes Haus]

Ich verfaßte noch zwei oder drei andere Werke, aber mit weniger Erfolg. Manchmnal begnügte ich mich damit, Buchtitel zu erfinden. Auf dem Lande spielte ich Buchhändlerin - das silberne Blatt der Birke nannte ich ‘Königin des Azurs’, das glatte der Magnolie hieß ‘Schneeblume’ - und richtete wohldurchdachte Auslagen her. Ich war mir nicht recht klar darüber, ob ich später lieber Bücher schreiben oder verkaufen wollte, aber in meinen Augen gab es jedenfalls nichts Köstlicheres in der Welt. Meine Mutter war bei einer Leihbücherei in der Rue Saint-Placide abonniert. Unüberschreitbare Schranken trennten die dicht mit Büchern besetzten Gänge ab, die sich im Unendlichen verloren wie die Tunnel der Metro. Ich beneidete die alten Damen mit den hohen Stehkragen, die ihr Leben lang mit den schwarz eingeschlagenen Büchern umgingen, deren Titel auf einem orangefarbenen oder grünen Rechteck standen. Vom Schweigen umgeben, durch die düstere Monotonie der Buchhüllen gleichsam maskiert, waren die Worte da und warteten, daß jemand kam und sie entzifferte. Ich träumte davon, ich könne mich ganz insgeheim in die staubigen Alleen hineinbegeben und niemals wieder aus ihnen zum Vorschein kommen.

Simone de Beauvoir: Memoiren einer Tochter aus gutem Haus. Roman. A.d. Französ. von Eva Rechel-Mertens. Mit einem Nachwort von Alice Schwarzer. Frankfurt/M: S.Fischer 1999. S.76-77.