[Die Bibliothek im Kampf mit anderen Tätgkeiten]

"Hausarbeit ist wie Alkohol", sagte meine selbstverwirklichte Mutter zu Faith. "Jedesmal werden dabei ein paar Gehirnzellen zerstört.

Als sie den Kopf schüttelte, wie um ihre Worte zu unterstreichen, schlugen ihre großen Ohrringe, so rot wie ihr Trainingsanzug, gegen ihr Kinn. Sie spießte eine Tomatenscheibe auf und steckte sie in den Mund.

"Ich mache eine Menge anderer Dinge, Mutter. Erstens hab ich den Job in der Bibliothek -"

"Sortieren und Einordnen", sagte meine Mutter, die nicht viel von Bibliothekaren in Katalogsälen oder überhaupt von Bibliothekaren hält. Jahrelang saß sie in der Küche, weinte und las theologische Bücher, während wir Kinder, sieben an der Zahl, uns gegenseitig erzogen. Als mein jüngster Bruder in die Schule kam, fing sie als Schaufensterdekorateurin bei Filene’s in Brookline an. Einmal die Woche geht sie zum Essen zu einem ihrer Kinder, weil sie nicht mehr selber kocht.

"- das weißt du genau", fuhr Faith fort, als hätte meine Mutter nichts gesagt. "Und dann mache ich noch diesen Kurs ‘Nach dem Leben...’"

"Nach dem Leben? Na, was erzählen sie euch übers Leben?"

"Nach dem Leben zeichnen, Mutter", sagte ich, und Faith sagte gleichzeitig: "Wir zeichnen nach lebendigen Modellen, das ist alles."

Aus: Ann Harleman, Happiness. Zürich, Arche 2000. S.140-141.

[Kurzrezension]

Geschichten mit dem Signet "aus der amerikanischen Provinz" lassen die Frage aufkommen, mit welchen Bildern die Leser auf die Begriffe "amerikanisch" und "Provinz" gestoßen werden. Bei Ann Harleman regnet es fast ununterbrochen und es ist kein urbaner Regen, bei dem sich die Helden zwischendurch unterstellen, sondern der Regen ist weit, flächendeckend und landstrichhaft. Die Provinz erweist sich als unangenehme Fläche, die die Bewohner in die Häuser treibt. Eine zweite Provinz-Komponente scheint die Enge des Familienlebens zu sein. Diese Stimmung wird einmal mit einem Zitat von Leonardo da Vinci untermauert: "Kleine Räume oder Wohnungen bringen den Geist auf den richtigen Weg, große bewirken, daß er irregeht." (S.66) Und schließlich sind es die Namen von entlegenen Orten oder mythologischen Randzonen, die beim Leser den Reflex "Provinz" auslösen. Was in unserer Gegend etwa das "Vomper Loch" ist, ein Ort, in den nicht einmal Mörder flüchten, heißt auf amerikanisch, Elbow Lake, Novemberwälder von Bolton oder Whitewater. Dementsprechend spielt auch meist eine Kleinfamilie in der Kleinstadt die Hauptrolle. "Vielleicht ist glücklich ein zu großes Wort. Eine Kleinstadt in Minnesota; Leben ist hier nicht aufregend." (88) So zerreißt die Frau im Anschluß an das Begräbnis ihres Mannes sofort das Fotoalbum, damit eine Ruhe ist. Ein Vater drillt seinen sensiblen Sohn unter Wettbewerbs-Bedingungen auf das Leben, bis dieser "als Test" einen Selbstmordversuch unternimmt. Und Paare tanzen in der Aura der Provinz aus Sicherheitsgründen wie Fische, das heißt, die Partner berühren einander trotz größter Erregung nicht. Ann Harlemans Geschichten zur Happiness sind melancholisch, aufregend und ausweglos radikal.

Ann Harleman: Happiness. Erzählungen. A.d.Amerikan. von Dorothea Brinkmann. Zürich-Hamburg: Arche 2000. 188 Seiten. 234,- ATS. [17,00 EUR]

Ann Harleman lebt in Rhode Island.

Helmuth Schönauer