[Bibliothekstransport in der Wüste, jedem Kamel entspricht ein Buchstabe]

[...] Ich lese gern am Häusl, darin einig mit dem Hl. Gregor, Marcel Proust, Henry Miller, Karl May, Leopold Stokowski, Papst Leo IX, Ulrich von Liechtenstein, Albert Einstein, Louis Pasteur, König Emanuel II. von Italien, Anton Bruckner und Millionen anderen, denen ich herzlich in Freundschaft zugetan bin. Freilich wäre ich lieber der persische Wesir gewesen, der auf Reisen seine Bibliothek von über hunderttausend Bänden von vierhundert Kamelen, abgerichtet, die Bücher in alphabetischer Reihenfolge zu schaukeln, mittragen ließ. Aber ich bin auch ganz glücklich auf meinem Häusl, immer nur ein Buch mittragend und dann auf den Knien haltend. Bei Verstopfung lese ich weit länger als bei Normal- und Dünnschiß, denn nach dem Entlerungsvorgang macht das Lesen keine Freude mehr.

Aus: Alexander Widner, Gegen Tagesende. Wien, Deuticke 2000. S. 252-253

[Kurzrezension]

Die Ausgangslage ist fatal: Ein denkender Mensch, nach Kärnten in den geistigen Widerstand verschlagen, muß ein Jahr lang gegen das unheimliche Niveau der Provinz ankämpfen. Hinzu kommt noch eine körperliche Verfassung, die von Müdigkeit, Kuraufenthalt, Arztbesuch, kompletter Müdigkeit und totaler Sehnsucht nach Frühpension gekennzeichnet ist. So geschieht tagelang wirklich nichts, als daß der Körper mit allerhand Durchhalte-Parolen zum Weitermachen überredet wird. Alexander Widner notiert unbarmherzig und gestaltet auch in jenen aussichtslosen Augenblicken, in denen ein anderer vielleicht nur mehr ein Stichwort hingeworfen hätte, ganze Textblöcke. "Die vier Gründe, in Klagenfurt zu wohnen und zu bleiben: das Kreuzbergl, der Donnerstagmarkt, der See und Tarvis." (S.139) In dieses Alltagsgemetzel sind freilich höchst philosophische Bemerkungen und Erkenntnisse eingelagert. Der Autor hat zwei Strategien gegen das Verblöden entwickelt, die eine besteht im Lesen und Kommentieren des Gelesenen, die andere ist eine beinahe debile Hinwendung an Presse und Fernsehen und das fassungslose Gelächter über das Dargebotene. So kommt es mehr oder weniger gleichzeitig zu einer fast bewundernswerten Hommage an den Käfersammler Ernst Jünger, für den der Krieg ein Spiel war, und der trotz Rauchens beinahe hundertdrei Jahre alt geworden wäre, und andererseits zu einer Skizze über eine Bundeskanzlergattin, die für caritative Zwecke Tag und Nacht am Golfplatz einlocht. Beide Erkenntnis-Schienen führen schließlich zu einem Bild, das auf erschreckend flachem Niveau ein grunzend- dahindümpelndes Österreich zeigt. Die Textform "Komödie des Alltags" ist raffiniert gewählt, denn auf dieser halb öffentlichen, halb privaten Bühne der Alltäglichkeit haben die Gedanken die Chance, vor dem Autor und Leser vorzusprechen. Und der Werkstattcharakter ermöglicht unter dem Aspekt des vorläufigen Ausprobierens Gedankengänge, die in einer rein öffentlichen Fiktion nicht erlaubt wären. "Gegen Tagesende" ist ein Überlebensbuch, das manchmal sarkastisch, manchmal widerborstig, aber stets mit ungeheurer Zähigkeit den Ablauf des Alltags kommentiert. Und sei es auch nur als Seufzer "Übles Tagesgemisch!" mit dem der 20. Februar festgehalten wird.

Alexander Widner: Gegen Tagesende. Komödie des Alltags. Wien: Deuticke 2000. (= LeseZeichen). 395 Seiten. 198,- ATS. [14,38 EUR]

Alexander Widner, geb. 1940 in Wien, lebt in Klagenfurt.

Helmuth Schönauer 10/03/00