[AutorInnen benehmen sich seltsam, wenn sie inkognito Buchhandlungen oder Büchereien aufsuchen]

[...] Ein Drittel bis zur Hälfte der Kunden in einer Buchhandlung sind ja keine echten Kunden, sondern erfolglose Autoren, die, ihre Anonymität ausnützend, mehr oder weniger heimlich ihre eigenen Bücher nach vorne reihen oder in den Stapeln obenauf legen. Wenn ihr Buch gar nicht vorrätig ist, erkundigen sie sich scheinheilig danach, heucheln Interesse oder loben es kaltschnäuzig in der Hoffnung, dass dies die Buchhandlung veranlassen werde, beim Verlag gleich eine größere Stückzahl anzufordern. Doch in diese Tricks werden die jungen Buchhändler schon im ersten Lehrjahr eingeweiht. In den meisten Fällen übernehmen die Autoren selbst die Arbeit der Verkaufsförderung, es kommt aber immer wieder vor, dass sie ihre Ehepartner dafür einspannen, die sich jedoch durch die Art ihres blindwütigen Engagements sehr leicht enttarnen lassen und dann herablassend und mitleidig behandelt werden.

Aus: Werner Thuswaldner, Pittersberg. München, Knaus 2000. S. 112-113.

[Kurzrezension]

Der Roman "Pittersberg" zeigt auf raffiniert-ironische Weise, wie die Idole im Familienverband und im Staatswesen außer Tritt geraten können. Der Ich-Erzähler erhält von einem renommierten Hamburger Magazin den Auftrag, über den sagenumwobenen Pittersberg in Kärnten einen erhellenden Artikel zu verfassen. Mit dem Auftrag aus Hamburg setzt beim Historiker schlagartig die Erinnerung an eine muffige Kindheit in Kärnten ein. Der Vater hatte als ehemaliger k.u.k. Offizier alle politischen Richtungen eines Rechtsaußen im Sinn, bloß nicht die Loyalität zur neuen Republik. Der ältere Bruder Sebastian galt als der Statthalter des Vaters und übernahm die Familie im Handstreich, als der Vater starb. Über allem aber thronte der Mythos vom Pittersberg, den der Vater erfunden hatte, indem er aus dem Bauch heraus zwei ausgegrabene Hufeisen einer heldenhaften Abwehrschlacht gegen die Türken zuordnente. Inzwischen sind die ehemaligen Familienmitglieder über ganz Europa versprengt, und der Historiker sucht seinen verhaßten Bruder in der Schweiz auf, um seine Emanzipation zu zeigen und Neues vom alten Mythos zu erkundschaften. Mit dem Hufeisen-Fund, einem gefälschten Geschichtsbuch über reinigende Riten und regelmäßige Ehrungen von SS-Leuten ist rund um den Pittersberg ein spezieller Tourismus entstanden. Der falsche Mythos endet mit einem Spatenstich der Gerechtigkeit. Ein Bagger fährt in die Pipeline Triest-Ingolstadt und das austretende Öl verwandelt die gesamte Geschichtsfälschung in Sondermüll. Werner Thuswaldner geht die germanistisch schwer beladenen Themen wie Vatersuche, Heimatkunde, Kärntner Abwehrkampf und Geschichtsbeugung mit zwei Erzählstrategien an. Zum einen verwendet er die befreiende Ironie, die festgestampfte Standpunkte auflockert und unerwartete Problem-Zugänge erschließt, zum anderen läßt er als Historiker das ungenierte Herzklopfen zu, das während des Erzählens sagenhafter Vorgänge sympathisch durchpocht. Werner Thuswaldner erzählt eine spannende Familien- und Staatsgeschichte mit hoher Glaubwürdigkeit, und mit wenigen Schachzügen spielt er verbunkerte Figuren und Ideologien frei für eine neue Diskussion.

Werner Thuswaldner: Pittersberg. Roman. München: Albrecht Knaus 2000. 189 Seiten. 248,- ATS. [18,02 EUR]

Werner Thuswaldner, geb. 1942 in Kärnten, leitet das Feuilleton der Salzburger Nachrichten.

Helmuth Schönauer 10/03/00