[Die Bücherei als Safe des Wissens]

Wo konnte er nur an die entsprechenden Informationen kommen? In der Bibliothèque Nationale! Die BN, wie sie zu seiner Zeit kurz genannt wurde. Wie sie auch heute noch genannt wird. Als Student hatte er Wochen darin verbracht. Natürlich mit Grosrouvre zusammen.

In die BN kommt man nicht so einfach hinein wie in ein Kino. Man braucht einen Leserausweis. Der wird erst nach einem eingehenden Gespräch mit einem Mitarbeiter der Verwaltung ausgestellt oder verweigert. Die Bibliothekarin, die sich seiner annahm, fragte ihn, ob er Lehrender oder Forscher sei, ob er eine Forschungsarbeit durchführe und welche und unter der Leitung welches Professors, ob er einen Studentenausweis hätte, ob... Nachdem ihr mit einemmal das Alter ihres Gegenüber auffiel, wurde sie verlegen:

"Diese Fragen werden jedem gestellt", entschuldigte sie sich.

Aus: Denis Guedj, Das Theorem des Papageis. Roman. Hamburg: Hoffmann und Campe 1999. S.34-35.

[Kurzrezension]

Was man früher abschätzig Professorenroman genannt hat, kann im Zeitalter des Edutainments durchaus ein Abenteuer des Lesens sein. Im "Papagei-Roman" geht es schlicht um die Welt der Mathematik, aber als Leser spürt man die Mathematik nicht stärker oder schwächer als an einem gewöhnlichen Tag. Im Mittelpunkt des Geschehens steht ein Buchhändler, der seinen Sinn aus dem Umgang mit Wissen definiert. Unterstützt wird er von den zwei grandiosesten Bibliotheken dieser Welt, von der BN (Nationalbibliothek) und der BAU (Bibliothek aus dem Urwald). Das Abenteuer beginnt mit einem Brief aus dem Dschungl, in dem ein ehemaliger Studienkollege des Buchhändlers das Eintreffen einer raren Urwaldbibliothek mit den kostbarsten Mathematik-Büchern avisiert. Tatsächlich taucht diese geheimnisvolle Bibliothek nach ein paar Seiten auf, und vor den Augen des Lesers packt sie der Buchhändler aus. Mit Skizzen, Vergleichen und Nachforschungen werden verschiedene Probleme angegangen, und ehe man es sich versieht, ist die Mathematik zu einem spannendn Thema geworden. Es geht nämlich um die schlichte Frage, welche Modelle es für die Beschreibung der Welt gibt. Mathematik hat immer mit Fallbeispielen und Übungs-Situationen zu tun, warum sollten nicht einmal in der Literatur solche Übungen gezielt komponiert werden. Vielleicht ist ein Mord in der Literatur nichts anderes als ein hochgestelltes Dreieck. In der Folge werden Dreiecke, Pyramiden, Schattenrisse und Pendelausschläge, die man bestenfalls vom Hörensagen kennt, in didaktischen Dialogen erörtert. Die Hauptbotschaft dieses Romans besteht freilich darin, daß jemand nur dann zur Erkenntnis gelangen wird, wenn er seiner ihm zugemessenen Bibliothek mit Ehrfurcht begegnet.

Denis Guedj: Das Theorem des Papageis. Roman. A.d.Französ. von Bernd Wilczek. Hamburg: Hoffmann und Campe 1999. 591 Seiten. 328,- ATS. [23,83 EUR]

Denis Guedj, geb. 1940 in Algerien, ist Professor für Mathematik an der Universität Paris.

Helmuth Schönauer