Die Richter
Der Roman ist gar nicht darauf aus, hohe Wahrscheinlichkeit zu suggerieren, er ist darauf aus, die Unmöglichkeit von Gerechtigkeit durch Ausübung des Richteramtes darzustellen. In einem ähnlichen Argumentations-Ambiente wie im Film "die zwölf Geschworenen" geht es für die Beteiligten darum, der Wahrheit "subjektiv-gerecht" gerecht zu werden. Nach der Notlandung einer Maschine auf freier Wildbahn in Connecticut werden fünf Passagiere von einem Gastgeber und seinem Bückling-Diener wie in einem ordentlichen Gerichtsverfahren empfangen und ins Haus begleitet. Aber statt Labung gibt es seminaristisches Psychospiel und die Ankündigung, daß am nächsten Morgen ein Mensch geopfert werden soll. Die fünf Personen erzählen wie in Thornton Wilders "Brücke von San Luis Rey" (1927) ihr Schicksal und rätseln über die Bedeutung ihrer Zusammenkunft. Alle haben ihr Leben in Scheinhüllen gewickelt und allmählich schälen sich daraus die wahren Zusammenhänge. Neben dem persönlichen Schicksal tragen alle Figuren auch ein Stück allgemeine Geschichte in sich, teils sind die Rollen freiwillig gewählt, teils durch die Lage der Geschichte wie Marionetten zugeordnet. Die ganze Diskussion kippt in eine existenzielle Woge, als es letztlich darum geht, auszuwählen, wer geopfert werden soll. Die Richter müssen sich quasi selbst richten und ad absurdum führen. Wie fast zu erwarten, opfert sich schließlich der skurrile Hausherr selbst und bringt sich um, aber die Wahrscheinlichkeit der Story ist nicht das Wesentliche in diesem Roman, denn hier geht es schlicht um den Sinn des Lebens. So ist der Roman weniger als Unterhaltung als vielmehr als Exerzitium gegeignet, scheinbar unwichtige Themen in einem völlig neuen Licht auszuleuchten. Der Text schreit förmlich nach Gruppentherapie und Bewältigung in einem Literaturkreis. Wehe dem Leser, der mit seiner eigenen Lektüre allein gelassen wird.
Elie Wiesel: Die Richter. Roman. A.d.Französ. von Christiane Landgrebe.Bergisch-Gladbach: editionLübbe 2001. 251 Seiten. 248,- ATS. 18,07. ISBN 3-7857-1524-2
Elie Wiesel, geb. 1928 in Siebenbürgen, lebt in Boston.
Helmuth Schönauer 08/04/01
Erika Pluhar, geb. 1939, lebt in Wien.
Helmuth Schönauer 11/04/01