abgehängt

Zwischen anonymen Telefonanrufen wird das Leben einer Schriftstellerin immer wieder "abgehängt". Die Ich-Erzählerin führt ein recht kontrastreiches Leben, einerseits läuft neben ihr ein Dutzendhaushalt Tag und Nacht scheinbar emotionslos ab, andererseits gibt es immer wieder Anknüpfungen und fachliche Anfragen zu einem intellektuell voll ausgestatteten Leben. Während Tochter Simmy eben noch Nutella in den frischen Harry Potter patzt, kann etwa der Lebensbetreuer Meyer-Bromberger seinem ästhetischen Unwillen Ausdruck verleihen, wonach er keine Theaterstücke sehen kann, in denen Schauspieler in Nazi-Stiefel herumstolpern, und das tun heutzutage alle. Auch die Tochter wird mit einer Anti-Nazi-Kampagne davon abgehalten, sich einen Schmetterling in die Kinderhaut tätowieren zu lassen. Aus der Entfernung spielt immer noch Serge, der Mann der Erzählerin, eine Rolle, und auf Jazz-Tourneen spielt er immer eine legendäre Nummer, die ein gewisser Eddie komponiert hat, ehe er sich umgebracht hat. Die warme und dennoch bedrohliche Stimme am Telefon stellt eigentlich nur lapidar fest, daß die Tochter wohl in der Schule sei, und schon geht die Gänsehaut los, der Körper kriegt seine Angstschuppen und an ein normales Leben ist nicht mehr zu denken. Birgit Vanderbeke erzählt mit dem Zustandsbericht "abgehängt" eine dichte, ambivalente Situation zwischen Trivialität und Durchkommen, ästhetischem Lebenskonzept und Shushi-verzehrender Umsetzung dieser Gedankenmodelle.

In diesem "abgehängten" Zustand ist nichts so, wie man es sich als Leser üblicherweise vorstellt. Die gewöhnlichste Verrichtung kann zum Lebenssinn werden und ein philosophisches Konzept zu einem sinnlosen Gedankenschnörksel. Auch die Zeit verhält sich teilweise völlig antipodisch, die Gegenwart verfließt vor den Augen aller in die Vergangenheit, und das Vergangene ist wieder plötzlich da. - Der Text (ohne Gattungsbezeichnung) ist eine sehr kunstvolle, erhellende Gedankenarbeit in voller Montur der Literatur.

Birgit Vanderbeke: abgehängt. [Roman]. Frankfurt/M: S.Fischer 2001. 127 Seiten. 248,- ATS. € 17,00. ISBN 3-10-087020-4

Birgit Vanderbeke, geb. 1956 in Dahme, lebt in Südfrankreich.

Helmuth Schönauer 02/04/01