STICHPUNKT 529

Für den Arsch

In der Vorweihnachtszeit gehen kluge Menschen mit dem eigenen MP3-Stick durch die Gegend, um sich die generelle Weihnachtsmusik zu ersparen. Wenn alle diese Schas-Lieder zu einem einzigen Song verbunden sind, nennt man es übrigens Medley. Aber auch im Print-Bereich gibt es diese Medleys, dort heißen sie Anthologien und sind für nichts anderes als den Arsch. Wörtlich übersetzt handelt es sich bei Anthologien um eine Blütenlese, und seit Cosy wissen wir, wo Blüten ihren Sitz haben. Diese Anthologitis ist wie eine permanente Angina, sie steckt einem im Hals und man hat Angst, dass man sie verschleppt und plötzlich einen formidablen Herzschaden ausfasst. Jetzt steht zu befürchten, dass bei der Aktion „Innsbruck liest“, wo immerhin so tolle Romane wie „Kameramörder“ und „Wundränder“ unter die unbekümmerten Leser gebracht worden sind, eine A. für den A. kommen soll. Dabei haben wir noch ein paar tausend Stück der Innsbruck-Anthologie aus dem Jahre 1990 in den Lesedepots liegen, denn kein Schwein liest eine Anthologie. Eine Anthologie ist etwas für Germanisten, da können sie auswählen, Vorwörter und Gutachten schreiben, wir aber sollten den witzigen und freiwilligen Aspekt beim Lesen nicht vergessen. Warum kann man nicht aus heuriger Sicht Hans Platzgumers „Expedition“, Irene Pruggers „Frauen im Schlafrock“ oder Elias Schneitters „Frühstück mit Sonnenbrille“ als Lesegeschenk für witzige Leser ins Auge fassen? Warum können nicht Texte unterstützt werden, welche Autoren freiwillig und autark verfasst haben? Warum muss immer ein Thema oder eine Anthologie ausgelobt werden, wo dann alle artig den Affen herunterschreiben? Das Problem bei der so genannten Literaturpflege besteht ja darin, dass landläufig Fiktion mit Roman gleich gesetzt wird. Wenn man also frisches Publikum gewinnen will, muss man eben an die Vorstellungskraft dieses Publikums denken. Die Tiroler und Innsbrucker denken da wie bei einem Fronleichnamsumzug, er muss eine gewisse Länge haben und durchgehend begehbar sein, kleinere Prozessiönchen an einem Vormittag sind dann halt nicht so attraktiv. Bitte an alle Literaturmacher: Wischt euch die Idee mit der Anthologie weg, bevor sich damit andere einen auswischen!

Helmuth Schönauer 15/12/05

 

STICHPUNKT 528

Gut gekratzt!

Damit eine Zeitung zum Frühstück schmeckt, sollte mindestens eine kleine Nachricht drin sein, die hemmungslos Schadenfreude auslöst. Eine verdammt gute Nachricht in einer der verdammt guten Tiroler Frühstückszeitungen war in dieser Hinsicht der Bericht von einem zerkratzten und zerdetschten Range Rover in der Innsbrucker Maria-Theresien-Straße. Das toppt auf der Schadensfreude-Skala! Da der Range Rover sicher nicht der Caritas gehört, die damit vielleicht im Asphaltdschungel die Armen aus der Innenstadthölle evakuiert, gehört dieses Kampfauto entweder einem Jäger oder sonst einem Hormongestörten, der die Genitalien als Geweih am Kopf trägt. In beiden Fällen ist das Zerkratzen der Kampfpatina nicht schlecht. Denn in welchem Einsatz könnte sich der Range Rover sonst in der Maria-Theresien-Straße befinden, wenn nicht in einem Kriegseinsatz? Diese schönen Morgennachrichten, wenn in der Nacht die Kämpfer der Gerechtigkeit das Blechding eines Schweines aufgeschlitzt haben. Und hoffentlich findet man die Täter und Täterinnen nicht, damit sie noch viele Einsätze abwickeln können, denn gerade in der Maria-Theresien-Straße wimmelt es nur so von Schweinen. Soeben soll ein Podium aufgebaut werden, wo man seltsame Leute aufstellen will, damit sie dem Christkindlumzug zuwinken. Von Promis ist die Rede, die während des Umzuges Fleischkäse kauen, es können aber auch Schweine sein, die sich sozial unverträglich unter die Christkindl-Gaffer mischen wollen. Wie wird man wohl diesen Bodies am Podium die passende Botschaft in die Arschbacken ritzen? Zum Kratzen gibt es jedenfalls genug in dieser Weltstadt Innsbruck, die Tag für Tag kulturell am Abkratzen ist.

Helmuth Schönauer 13/12/05

 

STICHPUNKT 527

Das Verklingeln der Töne

Der Mensch lebt nur echt, so lange er sein Leben am Handy managt. Mannigfaltig ist daher die Werbung für Handys, worin wir für alle Stellungen einen eigenen Tarif angeboten bekommen. Der gute Handy-Mensch hat nicht nur für jede Stimmung einen passenden Klingelton sondern auch mindestens fünf Handys vor sich liegen, damit er jeweils mit dem günstigsten Netz in den total günstigen Tarif surfen kann. Wo immer es um glänzende Geschäfte mit strahlendem Optimismus geht, wird gerne auf die Hinterseite vergessen. Wie hört dieser ganze Boom denn eines Tages auf? Was steckt hinter diesen Klingeltönen? Eine recht tief gehende Geschichte dazu weiß eine Notärztin zu erzählen. Sie berichtet, wie sie bei einem Einsatz einen Schwerverletzten völlig konzentriert aus dem Wrack bugsiert. Der Verunfallte ist noch ansprechbar, aber er wird diesen Unfall nicht überleben. Die Ärztin zieht eine Narkose auf, die schweren Verletzungen werden allmählich das Gehirn aus dem Schock entlassen und es werden Schmerzen einsetzen. Da läutet das Handy des Opfers. – Jetzt ist die Notärztin irritiert. Soll sie das Handy abnehmen und es dem Opfer reichen? Es wäre das letzte Gespräch und quasi ein Verklingen des Lebens am Handy. Die Notärztin schaltet wieder auf Routine, versetzt den Verletzten in einen Tiefschlaf und verschickt das ruhig gestellte Bündel mit dem Helikopter ins nächste Krankenhaus. Tatsächlich ist der Angerufene nie mehr erwacht. Sein Leben ist verklingelt wie eine Handymelodie. So etwa könnten echte Weihnachtsgeschichten klingeln, wenn sie nicht als Geschäft allenthalben an der Kasse klingeln müssten.

Helmuth Schönauer 10/12/05

 

STICHPUNKT 526

Das Felix der Oper

Die Buchhändler kümmern sich leider immer öfter um Nebensachen und weniger um gute Bücher. Mister Forcher, der gute und ausgeisternde Geist des Haymon Verlages, denkt ein bisschen wehmütig an die gute alte Zeit, als es in den Buchhandlungen in der Hauptsache gute Bücher gegeben hat. Denn jetzt klingt das ganz anders: "Ein traumhafter Märchenstoff, der gerade rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft in die Buchläden kommt!" – Und was kommt da traumhaft daher? Natürlich ein echter Felix. Der Tiroler Eingottdichter und heimliche ORF-Angestellte Felix Mitterer hat die Präsentation seines jüngsten Streichs und den Streich überhaupt in die Staatsoper verlegt. Dort jagen diverse Schatten aus der Vergangenheit ein hohes C, gondeln durch Venedig und applaudieren einander, bis das Fernsehen alles aufgenommen hat. Das Phantom der Oper ist wieder da, denn Staatsoperndirektor, Felix, das hohe C und die Buchhändler gehen in einem Weihnachtssound von Wohlwollen in einander über. Lesen ist üblicherweise ein Stück Aufklärungsarbeit, um die eigene Seele mit unbekanntem Stoff bekannt zu machen. Bei Felix aber wird das Lesen mit Inszenierung voll gemacht, er selbst ist praktisch die Konsole, auf der die User-Kids dann das hohe C spielen dürfen. Was können wir daraus lernen? Bei Felix handelt es sich nicht um Literatur sondern um ein Stück Botschaft der Kulturinhaber an das lesende Volk. Seht her, so wollen wir es haben, lautet der Zeigefinger, mit dem die Machtinhaber auf den Dichter zeigen. Nett, weihnachtlich, ein Stück Märchen, Oper, eine Tochter, die den Dichtervater drängt, doch ein hohes C-Buch zu schreiben, damit die Familie zu Weihnachten heil ist. Jetzt brauchen wir nur noch einen passenden Adventsong. "Tauet Felix den Gerechten" oder so ähnlich.

Helmuth Schönauer 09/12/05

 

STICHPUNKT 525

Neue Tuifl-Trends

So um den Nikolo herum werden in Tirol allenthalben die Tuifl-Gewänder ausgepackt. Früher einmal war das bald erledigt, entweder man hatte ein Stinkegewand, das wie Pest und Mittelalter stank und das Jahr über in der Jauchengrube aufbewahrt worden war, oder man zog sich das Fell eines frisch geschlachteten Tieres über, und schon war man der perfekte Tuifl. Jahrzehntelang haben heimische Ethnologen diesen Bräuchen aufgelauert und sich für eine lobenswerte Erwähnung in einem Brauchtumsbildband oder Österreichbild gerne von der Armen-Tuifl-Gesellschaft des Ortes eine Zirbenstube schenken lassen. Mittlerweile ist alles erforscht, ein paar Touristen aus den neuen EU-Ländern reisen mit Digitalkamera an und knipsen uns Tiroler als Tuifel, wie wir unsererseits die Nepalesen als Dalai Lamas knipsen. Aber es gibt auch fetzige neue Trends. Die Masken werden heuer vom Internet downgeloadet und in der Gummipressmaschine vor Ort zu echten Fratzen gepresst. Gottseidank haben die meisten Tiroler ein Einheitsgesicht, so dass man ihnen jede Maske wie angegossen aufsetzen kann, auch wenn diese aus dem Internet kommt. Und der Hit heuer ist überhaupt die Eigenmaske! Also die meisten Tiroler gehen heuer als "Ich-selbst" oder schwarze ÖVP-Kopie und erwecken Schrecken und Wahnsinn, wie man es sich von den Tuifeln erwartet. Auf den prächtig mit Steinpflaster austapezierten Ortskernen werden heuer die zotteligen Schritte mit Schuhen aus dem Fundus von Hansi Hinterseer in das cleane Erdreich gestampft, aus den Hüften machen die Männer ihre wunderbaren Eierbewegungen und klingeln hinten mit der Glocke, während sie vorne mit dem Schwanz wedeln und umgekehrt. Dazu gibt es Musik aus Häkelmützenlautsprechern im Sound von DJ Ötzi. Jede Menge Senfgas, oder wie dieses gelb-rote Ding auf den Bühnen heißt, wird verströmt und wenn die Tiroler rundum langsam zu erfrieren drohen, zeigt man ihnen noch einen schwebenden Dressman, der von einer Dachluke heruntergelassen wird und satanisch schreit. - Wollt ihr die Hölle? Verpisst euch, denken die meisten und hoffen, dass es nächstes Jahr bessere Tuifl-Trends gibt.

Helmuth Schönauer 06/12/05

 

STICHPUNKT 524

Handy-Minarett

In Telfs soll ein Minarett zu einer bestehenden Moschee errichtet werden, und manche Patrioten hören jetzt das Sterbeglöckchen des Abendlandes läuten, was interessante Diskussionen auslöst. Jede Geschichte hat eine Vorgeschichte, wie jeder Film einen Vorspann hat. Telfs, muss man wissen, ist der Ort mit den größten Zuwächsen an Einheimischen, in keinem anderen Ort Tirols wird letztlich so viel für die Einheimischen gebaut wie in Telfs. Das hat einen recht trivialen Grund. Der ehemalige Bürgermeister wollte mehr Gehalt, dafür musste sein Ort in die nächste Entlohnungsstufe hineinrücken, weshalb Telfs von 7000 Einwohnern 1981 auf das Doppelte 2001 gewachsen ist. Für so eine stark gewachsene Gemeinde gibt es stets auch "Guttelen" der Anerkennung. So wurde die Friedensglocke der ARGE Alp in Hörweite aufgehängt, der ehemalige Bischof "Kothi" ließ flugs eine neue Kirche in die neue Siedlung am Waldrand zur Munde bauen, Felix Mitterer bekam schon zu Lebzeiten seine Felix-Mitterer-Straße und im Gewerbegebiet wurde ein respektables Bordell für das horizontale Gewerbe gebaut. So, und jetzt kriegt diese Erfolgsstory einen leichten Riss, weil die unkatholischen Bewohner ein Minarett wollen und sich nicht mit dem allgemein-katholischen Geläute zufrieden geben. Einspruch hin oder her, die Tiroler werden sich an Minarette gewöhnen müssen, sagt dazu der sehr katholische Nationalratspräsident in einem erstaunlichen Anflug an Weitsicht. Den Erbauern des Minaretts könnte man allerdings einen Tipp geben. Sie sollen das Minarett einfach als Handymasten errichten, gegen die Errichtung von Handymasten können nämlich nach geltendem Handy-Gesetz keine Einwände gemacht werden, weshalb es ja fast auf jedem Grundstück einen Handymasten gibt. Gegebenenfalls könnte man den Handymasten der Moschee ja so lange verkleiden, bis das Ganze fromm wie ein sakrales Bauwerk ausschaut. Zumal ja auch die stets raffinierten und zeitgeistigen Katholiken ihre Kirchtürme mittlerweile als Handymasten nützen, um Kohle einzuspielen und das ganze Land mit der Abstrahlung göttlicher SMS und anderer Handybotschaften zu beglücken.

Helmuth Schönauer 13/11/05

 

STICHPUNKT 523

Die Lehre vom Vergleich

Die Lehre vom Vergleich ist eine der kürzesten und treffendsten: "Alles ist vergleichbar!" Um diese Lehre jeder Generation wieder möglichst dramatisch vor Augen zu führen, gibt es an manchen Universitäten sogar einen eigenen Lehrstuhl. Dieser heißt hochwohlgeboren akademisch "Komparatistik" und darin tun alle nichts anderes, als emsig alle Texte, Literaturen und Kulturen miteinander zu vergleichen. An guten Tagen wird gelobt, dass es Sinn macht, über den eigenen Tellerrand zu schauen, an schlechteren Tagen fragt man sich, was diese ewige Vergleicherei eigentlich soll. Dieser Tage wird an der Innsbrucker Uni entschieden, ob die Komparatistik weitergeführt oder eingestellt werden soll. Die Dichter sind schon seit einigen Wochen auf der Palme und rufen, Hände weg von unserem Wunderinstitut. Größter Befürworter des Institutes ist der Dichter Raoul Schrott, der einst an der Komparatistik studiert hat und dem man nachsagt, dass er gerne auf einem Lehrstuhl sitzen würde, wenn die Steuererleichterungen an seinem momentanen Dichtersitz in Irland auslaufen sollten. Wenn man das Argument von Absolventen gelten lassen sollte, nämlich die Komparatistik ist gut, weil darin Raoul Schrott sein Studium abgeschlossen hat, müßte man augenblicklich die Innsbrucker Germanistik schließen. Denn diese wäre demnach ausgesprochen schlecht, weil an ihr Schriftsteller wie Walter Klier und Helmuth Schönauer rechtzeitig mit dem Studium aufgehört haben, ehe etwas von der Institutsleere in die Dichterköpfe geschwappt ist. Hinter der Diskussion um Proponenten von Sinn und Unsinn könnte man im Fall der Komparatistik schon noch eine Überlegung anstellen. Wenn alle vorhandenen Institute ihre Aufgaben machten, braucht es eigentlich keine Komparatistik. Die Komparatistik in Innsbruck ist ja nur eingesprungen, weil gewisse Institute beharrlich im Koma liegen. Jeder Verlust ist ein Verlust, ok, das ist auch so ein komparatischischer Satz, aber wäre außer ein paar Arbeitsplätzen etwas verloren, wenn es die Komparatistik nicht mehr gäbe? (Dieser Kommentar erscheint drei Tage VOR der Entscheidung über das Schicksal der Komparatistik. Literatur sollte nämlich auch im Vorhinein da sein, nicht immer nur germanistisch nachhakend im Hinterher.)

Helmuth Schönauer 17/11/05

 

STICHPUNKT 522

Die Zukunft liegt in der Zukunft

Nichts ist so sicher wie die Zukunft, also es ist ziemlich sicher, dass es ständig eine Zukunft gibt. Getragen von dieser Binsenweisheit gibt es immer wieder Veranstalter, die sich einen netten Referenten über die Zukunft einladen. Da horchen die Leute gerne zu und am Schluss können sich alle selber zu applaudieren, weil sie ja alle in die Zukunft gehen. In Österreich gibt es für diese futurfürzigen Anlässe zwei so genannte Zukunftsforscher, den etwas kühneren und daher teurerer Matthias Horx, und den etwas seichteren und daher auch billigeren Andreas Reiter. Dieser waschechte Innsbrucker hat übrigens eine sensationelle Karriere als Trendforscher gemacht. Berühmt ist seine Aussage in dutzenden Talkshows: "Es gibt einen Trend, wir wissen nur nicht welchen!" Aussagen über die Zukunft zu treffen wäre ja eigentlich das Kerngeschäft der Literatur. Ausgestattet mit dem Musilschen Möglichkeitssinn könnte ein guter Schriftsteller tatsächlich ab und zu in seinen Romanen etwas Prognostisches schreiben. Aber niemand, der halbwegs ein Schriftsteller sein will, tut sich etwas mit der Zukunft an, denn gefragt sind nur Romane mit Vergangenheitsbewältigung. Also gut punkten diese Retro-Writer mit alten Geschichten, die sich wenn möglich über die permanente Nazivergangenheit der Österreicher lustig machen. Während also die Schriftsteller des Landes ihre ganze Kraft dafür einsetzen, zu jedem Nazi einen passenden Roman zu schreiben, verkünden hoch bezahlte Zukunftsforscher die hybride These, dass die Zukunft in der Zukunft liegt. Wenigstens ist das Gesellschaftssystem gerecht, für die Naziforscher zahlt es nicht viel, weshalb die Schriftsteller nicht viel verdienen, und für die Zukunftsforscher zahlt das System gerne und viel, weil es einfach wenig verlässliche Zukunftsforscher gibt.

Helmuth Schönauer 13/10/05

 

STICHPUNKT 521

Genies des Alltags

Einem Genie sieht man es von außen erst einmal gar nicht an, dass es eines ist, aber dann, wenn es aufmacht, flutet gute Stimmung und Witzigkeit aus dem Genie hervor. Dieser Tage treten im Lokal mit dem witzigen Namen "Kögele" gleich drei dieser edlen Erscheinungen auf und geben ein spätes Heimspiel. Der Megagitarrist Thomas Hechenberger stammt nämlich aus Axams und hat sich kurzfristig mit dem Organisten Valentin Oman aus Wien-Zehn und dem Drummer Georg Beck aus Amstetten zusammengetan. Aufgestachelt von so vielen Unorten der Herkunft ist es für die Musiker klar, Weltmusik zu spielen, beispielsweise Summertime in gegroovter Form. Das Publikum, das an diesem Abend im Kögele sitzt, besteht zu fünfundneunzig Prozent aus Dorfmusikanten und einem Kellner. Alle haben tagsüber gearbeitet, sind zur Schule gegangen und haben sich unauffällig verhalten, bis jetzt. Jetzt zucken ihre Glieder, wenn sie geheime Drummer sind, wülsten sich die Lippen zu grandiosen Soli, wenn sie Bläser sind, flunkern die Augäpfel wie loses Gestein in den Aughöhlen, wenn sie auf digitalisierte Musik stehen. "Ich glaube, wir werfen unsere Instrumente weg und graben sie ein", sagt ein Ortsmusikant als er sieht, was der verlorene Sohn wieder für einen Abend in Axams zu Hause für einen Sound hinlegt. An diesem Tag erleben alle heftig den Sinn des Lebens. Dieser besteht kurz gefasst darin, dass man tagsüber unauffällig seiner Arbeit nachgeht und am Abend Kunst macht, mit sich und seiner Umgebung. Wie schon gesagt, die Genies des Alltags sind oft nicht leicht auszumachen, aber einmal erkannt, sind sie umwerfend witzig und verströmen ihre optimistische Aura an den abgelegensten Orten.

Helmuth Schönauer 11/10/05

 

STICHPUNKT 520

Bonsai-Präsident gratuliert

Seit der Präsident des Tiroler Landtages aus einer ziemlich kleinen Angelegenheit etwas ziemlich Großes gemacht hat, wird er im Volksmund Bonsai-Präsident genannt. Denn der Tiroler Landtag ist seit dem EU-Beitritt Österreichs so ziemlich das Unnotwendigste, was die Entscheidungen betrifft, allerdings das Wichtigste, was die Größe des Demokratie-Bewusstseins anbelangt. Denn täglich verkündet der Landtag die Freiheit Tirols, die er kurzfristig den Habsburgern geliehen hat, obwohl das schon sechshundert Jahre her ist. So schaut dieser Landtag aus wie ein großer demokratischer Baum, ist aber in Wirklichkeit ein fuzzi-kleines Ding, ein Bonsai eben. Die Wichtigkeit des Landtages wird noch dadurch unterstrichen, dass etwas erst dann Gültigkeit hat, wenn der Bonasi-Präsident etwas dazu sagt. So ist die Gratulation zum Einjahrsejubiläum der ziemlich doofen Tageszeitung "die Neue" erst dadurch allgemein gültig geworden, weil auch der B-Präsident etwas Gratulatives gesagt hat. Er hat dies ganz philosophisch hintersinnig ausgedrückt, indem er der Neuen den Glückwunsch aussprach, sie berichte eben von der tiefen Seite des Lebens. Das tut die Neue tatsächlich, sie berichtet tief. Fast jeden Tag ist eine Reportage drin, wo den Tirolern tief in den Schritt gegriffen wird, mal gibt es eine Reportage zum weiblichen Geschlechtsorgan, dann wird wiederum die männliche Genitallänge international verglichen und gewürdigt. Mit dieser Gratulation ist schlagartig alles gut geworden. Der Bonsai-Präsident hat gratuliert und das Land dankt es ihm und erwartet die nächste Gratulation von etwas tief Gehendem oder Hängendem.

Helmuth Schönauer 26/09/05

 

STICHPUNKT 519

Autofrei

Raucher sind Raucher, weil sie rauchen, Autofahrer sind Autofahrer weil sie autoen, und Politiker sind deppert, weil sie Politiker sind. So ist das einmal und da hilft es nichts, wenn man rauch-, auto- und politikfreie Tage einführt. Wieder einmal steht ein autofreier Tag vor der Tür und moralisch hoch motivierte Zeitgenossen schicken bereits jede Menge Spam um den Globus, dass man ja an diesem Tag das Auto stehen lassen soll. Diese Spams kreuzen sich im digitalen Universum mit Aufforderungen, an einem anderen Tag nicht mehr zu tanken, um die Ölpreise nach unten zu bringen. Also wenn man alle diese Lieblichkeiten unterstützen wollte, hätte man ganz schön zu tun. Man denke nur an die unsäglich blöden Armbänder, die moralisch tolle Typen durch die Gegend tragen, um gegen Krebs, Aids, Hunger und Gen-Mais zu kämpfen. Die kalte Jahreszeit bringt auch etwas Gutes, denn prächtige Pullover verhüllen die depperten Gummibändchen am Handgelenk. Der autofreie Tag ist ein Denkunfall, er setzt nämlich die These in Umlauf, dass immer noch zum Vergnügen mit dem Auto gefahren werde. In Wirklichkeit hast du beispielsweise in Innsbruck gar keine andere Chance, irgendwohin zu kommen. Zu Fuß wirst du am Gehsteig von ausgerasteten Radfahrern überfahren, im Bus kommst du nicht voran, weil die halbe Zeit keiner fährt, also bleibt dir nur das Auto. - Eine gute Alternative wäre natürlich daheim bleiben. Wie so oft bei Grünen und Heimat schützenden Vereinen glauben diese Appelle an eine Moral, die man an manchen Tagen ein- und an anderen ausschalten kann. Warum soll es wirklich einen autofreien Tag geben? Warum gibt es nicht einen lesefreien Tag, einen ohne Medikamente, einen sexfreien Tag, einen Tag ohne ORF oder überhaupt einen Tag ohne jeglichen Appell?

Helmuth Schönauer 21/09/05

 

STICHPUNKT 518

Haus

Über den Unterschied zwischen Erster und Dritter Welt ist schon viel geschrieben worden und es läuft meist darauf hinaus, dass wir letztlich alle in einer Welt leben, weil es ja angeblich einen Schöpfer geben soll, womit dann auch der Untergang einzigartig und kollektiv zu geschehen hätte. Vielleicht gibt es aber tatsächlich drei Schöpfer, einen für jede Welt, und die haben nichts miteinander zu tun und catchen im Himmel ordentlich und wir beten bei Fronleichnam immer den falschen an und trotten womöglich gar hinter der falschen Monstranz drein. Ein guter Unterschied zwischen Erster und Dritter Welt besteht darin, dass bei uns Häuser wichtig sind und dort unten Kinder. Die Altersversorgung in der Dritten Welt läuft immer noch über Kinder, du musst dort unten also zu Lebzeiten wie ein Karnickel Kinder machen, damit du im Alter was hast. Und oft ist das nicht einmal gottgefällig, weil dort unten bekanntlich oft eine falsche Religion befohlen ist. Bei uns musst du zu Lebzeiten Häusl bauen, damit du es im Alter vermieten kannst und ein Zubrot hast. Ein Kind kostet dich im Laufe deines Lebens ohnehin so viel wie ein Haus. Da ist es klüger, du baust ein Haus, anstatt du karnickelst zwei drei Kinder zusammen, die dir nichts bringen als gesellschaftlichen Anschiss und Armut. Außerdem hält ein Haus die Goschn, wenn du die Haustüre zumachst, und Kinder goschen die ganze Pubertät hindurch bei dir zu Hause, weil sie sonst nirgends goschen dürfen und du immer alles daheim allein ausbaden musst. Die Häuser sind zwar nicht so gottgefällig wie die Kinder, aber es gefällt der Dorfgemeinschaft. Und wenn du was werden willst, brauchst du ein Haus, kein Kind. Und so fort, so ist das mit der Ersten und der Dritten Welt.

Helmuth Schönauer 20/09/05

 

STICHPUNKT 517

Frau im Kuhstall

Frauen sollen während der Menstruation nicht mehr im Kuhstall schlafen müssen. – Dieser geradezu sensationelle Regierungsbeschluss steht in der Tiroler Einheitszeitung unter Skurriles und ist ziemlich gut getarnt. Dennoch läßt sich aus dieser Nachricht herauslesen, dass es in weiten Teilen Nepals offensichtlich üblich ist, Frauen während der Menstruation in den Kuhstall zu verbannen. Jetzt kann man diese Nachricht einmal hoffnungsvoll nehmen, dass vielleicht im wahnsinnig gewordenen Königreich Nepal ab und zu etwas über Regierungsbeschlüsse zu verändern ist. Andererseits wendet sich diese Nachricht auch an die netten Tiroler, die mit Harrer, Tichy und Herrn Lama groß geworden sind. Irgendwo im großen Himalaya ist die Zeit stehen geblieben und zwar im schlimmen Sinne. Wir lassen uns gerne von Yeti-Bergsteigern, Hubert von Goisern und Dalai Lamas von der friedlichen Welt in dünner Luft berichten. Manche von uns trecken auch durch diese Gegend und staunen wie die Yaks. Und ganz Hyper-Friedfertige wenden sich dem Lamaismus zu, surren Mandalas durch die Gehirnschleifen und beten um eine rasche Rückkehr des Lamas in sein heiliges Tibet. Ok, Nepal ist nicht Tibet, es ist nur in der Nähe. Aber an Nepal sieht man vielleicht die Schattenseiten von Feudalismus und Lamaismus. Also, ihr aussteigenden und bergsteigenden Tiroler Fexe: Wenn ihr das nächste Mal nach Nepal oder Tibet fahrt, schaut nach, ob die Frauen schon aus dem Kuhstall entlassen sind. Denn Wegschauen gibt es nicht, obwohl gerade Bergsteiger gerne nur auf den Weg schauen und sonst sehr viel wegschauen.

Helmuth Schönauer 17/09/05

 

STICHPUNKT 516

Mann, bin ich Theatermüde!

Oft empfindet man ein Theaterstück dann am dichtesten, wenn man gar nicht hin geht. Gerade wenn etwas mit der Brechstange aufgeführt wird, ist es easyer, sich zu Hause irgendwohin zu legen und die Glieder wegzustrecken. Dieser Tage wird im so genannten Kulturhaus, das aber nichts anderes als das ORF-Landestudio Tirol ist, ein Theaterstück aufgeführt. Eigentlich ist es ein Text, den man sich um 18 Euro zu Gemüte führen soll. "du.phantombild" heißt das Stück von einer Frau für eine Frau über eine Frau. Eigentlich ist es ein Hörspiel, das vielleicht einmal gesendet wird, aber für den Theaterabend gibt’s etwas Film dazu, Musik, und natürlich Regie, jede Menge Frauenregie. Obwohl ich den ganzen Tag arbeite und daher wie eine Sau Geld habe, ist es mir am Abend doch zu heftig, von diesem vielen Geld 18 Euro auszugeben, damit ich dann einem Phantombild zuschaue. Denn zu lachen gibt es dann am Abend nichts. Was denken sich also Theatermenschen, wenn sie sich um diesen Eintrittspreis an das Publikum wenden? Sollen wir wirklich so einen Geldhaufen abliefern, damit wir dann nichts zu lachen haben? Denn das Stück reitet zumindest in der Voranzeige auf jenem Aufklärungsbesen, der den Männern schon zwischendurch an den Arsch geht. Die Wahrheit darf man nicht sagen, das haben diese Aufklärungsstücke so an sich. Die Wahrheit wäre: Ich mag mich nicht nach einem Arbeitstag in ein Theaterstück setzen, das von aggressiven Frauen für mich gar nicht vorbereitet ist. Ich mag mich dann schon lieber selber verarschen. Daher sage ich ganz theaterfreundlich: "Mann, bin ich Theatermüde!" und gehe nicht hin. Von manchen Stücken erfährt man so am meisten.

Helmuth Schönauer 08/09/05

 

STICHPUNKT 515

Nuss-Zipferl am Reintaler See

Zu den Kulturgütern Tirols gehört eindeutig der Nacktbadestrand am Reintaler See. Allein schon der Hinweis, dass an einer bestimmten Stelle das Nacktbaden "toleriert" ist, läßt dem kundigen Nacktbader sofort eine Erektion einschießen. In Tirol gibt es plötzlich so etwas wie amtlich gestattete Toleranz, auch wenn es sich nur um ein Stück nackten Streifen am Nacktstrand handelt. Am frühen Herbstmorgen packst du also kurz deine Genitalien aus und haust dich ins Wasser, es ist fast zu schön für die politische Einheitslandschaft Tirols. Ein paar Qua-quas surren aus dem Schilf, können Enten sein, Frösche oder Reiher, es ist egal, denn man ist wegen dem Kulturgut Nacktbaden da. Aber du hast dich noch nicht auf das Handtuch gesetzt, da setzt das Tirolerische ein. Eine jener unverkennbar grausigen Innsbrucker Stimmen, wie sie sonst am Gardasee oder auf der Nockspitze herum brüllen, setzt zu einer Orgie an Mundscheißdreck an und spricht triviale Sachen wie Wassertemperatur und Sonnenstand ungefiltert ordinär an. Am Nacktstrand kannst du sofort nachschauen, wie groß das Hirn dieses Herrn ist, denn es hängt zwischen den Beinen herunter. Aber dieser dummen Sau hängt nichts herunter, unter der Wampe trägt sie ein Zipferl in der Größe einer Nuss, ein Nuss-Zipferl in Vollendung. Jetzt kommt auch schon die dazu passende Frau daher und liest aus der Neuen vor. Das ist der Hammer. Ist die Neue schon als Zeitung ein Stück abgewischte Textscheiße, wird sie vorgelesen wirklich zu einem Tiroler Kulturgut. Also noch einmal ins Wasser, eine halbe Stunde im Herbst herum schwimmen, dann ist dieser Nacktstrand voll. Gerade dass du noch das Handtuch für die Flucht retten kannst, jetzt wird nämlich gnadenlos markiert und verdrängt. Das Nuss-Zipferl schifft mit abgewinkeltem Bein alles an, was nicht ihm gehört. So etwa markieren Häuslbauer ihr Revier, wenn sie auf einem billigen Übeschwemmungskegel ihr Grundstück abstecken. Die Tiroler sind vollends auf Heimattripp und verteidigen ihren Strand und vertreiben alles, was nicht dazu passt. Jetzt geht es um pure Zipfelgröße, wobei in diesem Falle die langen Zipfel abhauen müssen. Kulturgüter in Tirol erkennt man daran, dass man aus ihnen meist fluchtartig aufbricht. Der Reintaler See ist demnach ein ausgesprochenes Tiroler Kulturgut.

Helmuth Schönauer 04/09/05

 

STICHPUNKT 514

Thiersee-Passion

Provinz erkennt man daran, dass darin kein Journalismus möglich ist. So gesehen ist Tirol wirklich das Silikon-Valley der globalen Provinz. In der Provinz wird immer mit dem falschen Geodreieck gemessen, zwischen Hofberichterstattung und Hinrichtung ist kaum ein Unterschied. Was im ersten Absatz wie eine Hymne klingt, kann im Hinterteil eines Artikels schon zur Hacke werden und umgekehrt. Ein gutes Beispiel für misslungenen Journalismus liefert die Berichterstattung über die Thiersee-Passion in der TT, im Volksmund "Todeltodel" genannt. Jetzt muss man wissen, dass in Tirol immer ein Unverhältnis zwischen Kunst und Kirche besteht. Es gibt kaum einen Künstler, der zu Lebzeiten nicht von der Kirche missachtet und verhöhnt wird, wenn er es wirklich ernst meint mit der Kunst. Und so hat sich die schöne Überlebensformel entwickelt: "Kunst hellt das Leben auf, Religion verdunkelt es!" Die Passionsspiele in Thiersee sind ein religiöses und soziales Ereignis, aber kein künstlerisches. Die aktuelle Aufführung (Juni-Oktober 2005) ist mitreißend, modern, innig und auf der Höhe der Zeit. Hinter der Passionsdarbietung kann man etwa sehen, wie ein Dorf dem globalen Einheitsbrei an Message etwas Eigenständiges entgegen setzt. Alle Generationen im Ort spielen und diskutieren miteinander, wie man es sonst bei tausend Jungbürgerfeiern nicht zusammenbrächte. Die Thierseer spielen alle sechs Jahre und schöpfen ihre Darstellungskraft aus dem Bottich "Genie des Alltags". Alle Darsteller sind in erster Linie Originalmenschen an einem einmaligen Ort, und weil das Leben eben mehr ist, als bloß Business, gönnen sie sich ein Stück Transzendenz. So spielen sie Passion und laden Gäste dazu ein. Würden die Thierseer auf den Osterinseln spielen, würden aus aller Welt Ethnologen zusammenrennen und feurige Berichte darüber schreiben. Thiersee freilich liegt in Tirol, und deshalb schickt man von der Einheitszeitung zu diesem Festival einen Kulturjournalisten, der die Sache tapfer macht, aber alle kränkt. Der Kulturjournalist hat nämlich das falsche Geodreieck in der Hosentasche und schreibt einen Verriss, weil er die Passionsspiele für ein Kulturereignis hält. Die Thierseer sind von diesem Verriß alles andere als hingerissen und hadern mit dem Schicksal. - Beiden kann man als alter Provinzhase nur Trost spenden: In der Provinz gibt es eben keinen Journalismus. Die Passionsspiele Thiersee sind ein ergreifendes Ereignis: "Gehet hin und und esset alle mit den Sinnen davon!" Aber sie sind nicht mit dem Maßstab einer Theater- oder Literaturaufführung zu messen. Das hat mit diesem Hell-Dunkel zwischen Kunst und Religion zu tun.

Helmuth Schönauer 05/06/05

 

STICHPUNKT 513

Bomben/Papst

In einem Auszählreim für Kulturbeflissene gibt es die schöne Zeile: "Preis – Preiser – Scheiß!" Ein Preis ist prinzipiell eine Steuer schonende Methode, jemanden eine Zuwendung zu machen, gefragt sind Preise aber vor allem bei Journalisten, weil sie viel Arbeit ersparen. Zum einen braucht bei einer Preisverleihung niemand das Hirn zu verwenden, alles ist schon auf einer vorgefertigten Folie parat. Der Laudator sagt "pfiffig", der Preisträger sagt "bärig" und der Caterer sagt "cremig". Zum anderen ist ein Preis wie der andere. Der faule Journalist braucht nur noch den Namen und das Datum zu ändern und der Preis von gestern ist der aktuelle für morgen. Kein Wunder also, dass dieser Tage zwei Journalistenpreise ausgelobt wurden, denn auch die Journalisten wollen bepreist werden, nicht nur immer über andere schreiben. Interessanterweise gehen der Gatterer-Preis und der Hochner-Preis heuer nach Südtirol. Während der Gatterer-Preis für Aufklärung an die Journalisten Christoph Franceschini und Helmut Lechthaler geht – sie haben das Tabu-Thema Bombenjahre in Südtirol aufbereitet - geht der Hochner-Preis für Verdunkelung an den Bozner Andreas Pfeifer, der mit herzzerreißenden Reportagen über das Papstbegräbnis im ORF Furore gemacht hat. Der arme Robert Hochner, einst ein unbequemer Fragensteller für die Präpotenten, hätte sich wahrlich etwas anderes verdient, als im Jenseits einen schwermütigen Lamentator "souverän über das Jenseits" schwafeln hören zu müssen. Wir armen Schweine vom Publikum stellen mit Erstaunen fest, dass es egal ist, ob man über Bomben oder Päpste berichtet, Hauptsache, in der Preisschatulle ist was drin.

Helmuth Schönauer 06/05/05

 

STICHPUNKT 512

Stutzenpeter

Bei jedem Tiroler Schützenkongress werden am Schluss die Säbel aus der Hüftpfanne gerissen, und während alte Filzhüte im Fotografenlicht verwittern, wird die heimliche Hymne angestimmt:

Jetzt schien die Sonne gar zu sehr, / Da ward ihm sein Gewehr zu schwer. / Er legte sich ins grüne Gras, / Das alles sah der kleine Has'. / Und als der der Jäger schnarcht' und schlief, / Der Has' ganz heimlich zu ihm lief / Und nahm die Flint' und auch die Brill' / Und schlich davon ganz leis' und still.

Genau, diese Hymne stammt aus dem Struwwelpeter, aber sie trifft die Seele der Tiroler Stutzenpeter recht genau. Jahr für Jahr nämlich betteln die Tiroler Nordschützen, dass sie mit Säbel und Gewehr nach Südtirol einreisen dürfen. Nicht mit einem kastrierten Gewehr, sondern mit echter Puffen, wie die Offiziere in ihren Knallfroschuniformen immer wieder betonen. Als ob es keine anderen Dinge zu tun gäbe. Warum kümmern sich Schützen nicht darum, dass es eine geregelte Handyverbindung zwischen Nord- und Südtirol gibt? Warum gibt es noch immer keinen Taktverkehr zwischen den Bahnhöfen Bozen und Innsbruck? Warum dürfen die Südtirioler Kids nicht FM4 empfangen? Warum kostet das Verschicken eines Buches zwischen den Ländern mehr, als wenn man gleich selbst hinfährt? Das wären Schützensachen! Das wäre Heimat-Irgendwas! Das wäre patriotisch! Aber nein, die Seppls und Peters wollen bloß mit der Puffen einreisen und herumballern. Da ist es nur gut, wenn diesem schläfrigen Haufen der schlaue Hase die Puffen klaut wie im Struwwelpeterlied.

Helmuth Schönauer 19/04/05

 

STICHPUNKT 511

Wenn Bären nicht vögeln

Um das alte Tivoli-Stadion in Innsbruck standen jetzt genau fünf Jahrzehnte lang so genannte geile Bäume herum. Wer immer in die Nähe dieser Dinger kam, wurde einfach geil. Die Hunde sowieso, aber auch die Fußballer im Stadion traten wie verrückt auf einander und den Ball ein. Die Zuschauer schlägerten und klatschen, je nach Hormonlage, und was diese Bäume erst mit dem Sexualtrieb im benachbarten Schwimmbad angestellt haben, füllt Bände voll Ständer. Jetzt hat man diese Geilbäume endlich geschlägert und Teile davon in den Bärenkäfig des Alpenzoos geschleppt. Im Innsbrucker Bärengehege, muss man wissen, herrscht nämlich die absolute Impotenz. Seit Jahren rennen darin Bär und Bärin herum und wollen ums Verrecken nicht vögeln. Der Zoodirektor ist schon ganz verzweifelt, denn ein Bär, der nicht vor den Augen des Publikums vögelt, ist eigentlich nur ein halber Bär. In Wirklichkeit aber dürfte es sich bei den Bären um tierische Religionspädagogen handeln, die genau wissen, dass man in diesem Beruf nicht vögeln darf. Dieser Tage schlägt nämlich nicht nur der Innsbrucker Zoodirektor die Hände zusammen, weil seine Bären sexuell nichts aufstellen, ein paar Gassen weiter muss händeringend der bischöfliche Schulamtsdirektor eine Osttiroler Pädagogin suspendieren, weil sie sexuell hyperaktiv ist, zumindest für Osttiroler Verhältnisse. "Wenn jemand der Bock vom Dienst ist, muss ich ihn kalt stellen", wird der Schulamtsleiter zitiert. Im Sinne eines echten brüderlich/schwesterlichen Synergieschubes könnte man freilich die Rollen tauschen. Die Religionspädagogin könnte dann im Bärengehege ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen und die Bären könnten im Religionsunterricht das tun, was sie am besten können: Allen einen Bären aufbinden!

Helmuth Schönauer 13/04/05

 

STICHPUNKT 510

Stirb langsam!

Auf nichts ist mehr Verlass! Da wird heute am 2. April 2005 zu Mittag der lang geplante Film "Stirb langsam!" mit Bruce Willis plötzlich aus dem ORF-Programm genommen, und der Papst ist immer noch nicht gestorben. Keine Zeitung kannst du mehr lesen, weil überall theologisches Gequatsche aus den Glossen quillt, und die Lyriker haben Hochsaison. Der Herr hat ihn schon gesichtet, der Papst küsst bereits die Zehen vom Herrn, der Lift zum Himmel ist schon im oberen Stockwerk. Der Lift ins Jenseits ist ziemlich in Fahrt dieser Tage, wäre der Papst beispielsweise gestern am 1. April gestorben, hätte er im Lift mit Harald Juhnke plaudern können, der eben einen Knopf nach oben gedrückt hatte. Und unten wartet noch Fürst Rainier auf den nächsten Schuttle. Da sage noch jemand, der Tod sei ein Tabu und das Sterben werde in unserer Gesellschaft gerne verdrängt. Das Gegenteil ist der Fall. Nur noch durch langsames Sterben kommst du heutzutage in die Zeitung. In der Kulturberichterstattung gibt es ohnehin nichts anderes mehr als Todesnachrichten. In Form von Miniaturgrabsteinen werden die Leistungen der Kulturschaffenden ausgelobt. Also zuerst riesig das Datum, dann der Name, und in kleiner Schrift die kulturelle Leistung. Schade, dass man nur einmal sterben kann, sagen daher schon längst die Schriftsteller, denn zu Lebzeiten ist alles für die Wäsch, was geschrieben wird. So gilt auch in der Literaturgeschichte nur noch der Todestag oder das Todesjahr, um eine tote Lektüre unters Volk zu bringen. Obwohl Friedrich Schiller nur an einem einzigen Tag gestorben ist (9. Mai), muß er im Schillerjahr 2005 ein ganzes Jahr lang sterben. Anders bei Hans Christian Andersen, der darf jedes Jahr am 2. April sterben, dafür aber unendlich oft. Der 2. April scheint überhaupt ein guter Sterbetag für Märchenerzähler zu sein. Aber jetzt zu Mittag ist der Papst noch nicht gestorben, er schaut sich offensichtlich diesen Film von Bruce Willis an, den der ORF gerade aus dem Programm genommen hat.

Helmuth Schönauer 02/04/05

 

STICHPUNKT 509

Mäßige Freude im Mulltal

Seit langen Jahren schon gilt die Firma Freudenthaler als witzige Entsorgungsfirma, die ihrem Namen alle Ehre macht: mit Freuden schafft sie alles aus dem Tal, was man nicht mehr gebrauchen kann. Die Tiroler sind doppelt dankbar dafür. Einmal, weil der Mull wirklich weg ist, und zweitens, weil die Frau Freudenthaler immer da ist. Also "da sein" heißt in diesem Falle ganz wie beim Philosophen Martin Heidegger: in der Presse sein, bei Kunstevents posieren und bei Charity-Stehereignissen das soziale Herz entblößen. Aber plötzlich ist die Freude abgezwickt wie ein Schas, der nicht ins Freie will. Die Staatsanwaltschaft tut irgendwie mit den Akten herum, die Beamten stochern im Mull herum, und auch mit dem pfleglichen Presseumgang ist es nichts mehr. Offensichtlich haben die Stierler die Nerven der Mullentsorger ausgegraben und blank gelegt. Jetzt sausen die Presseaussendungen in den Mappen herum wie Käfer, denen man die Beine ausgerissen hat. Plötzlich gibt es Feindbilder, die offensichtlich vom Telfer Naz-Ausgraben übrig geblieben sind. In der Staatsanwaltschaft soll ein Grüner hocken! Das ist ungefähr das Dümmste, was man öffentlich behaupten kann. In der Literatur gibt es eine Menge Romane, die vom Mull handeln. Einige davon sind auch selber welcher. Aber eine Faustregel besagt, dass man den Mull zweimal entsorgen muss, einmal physisch als Stoff und einmal psychologisch als Kultgegenstand. Je mehr jemand im Mull herum stierlt, umso besser muss man ihn pressetechnisch betreuen. Beim Mull-Thema gibt es nämlich jede Menge Tabus, die jedem von uns schon in der Kindheit übergestülpt worden sind. Hinter jeder Entsorgung steht das Erlebnis vom Topfi-Gehen mit allen Ritualen und Vertuschungen. Wer einmal beobachtet hat, wie erwachsene Tiroler an einer Entsorgungsinsel verbotene Dinge abstellen, weiß, wie delikat das ganze Thema ist. Unsere Mitsorge gilt also den Freudenthalers, dass sie nicht nur witzig unseren Mull entsorgen, sondern es auch noch so angenehm machen, dass wir täglich in der Partypresse nachlesen, was es wieder Lustiges an der Mullfront gibt.

Helmuth Schönauer 01/04/05

 

STICHPUNKT 508

Felix lässt anbrennen

Der traut sich was, der Felix. ER ist nicht nur der erfolgreichste Dichter Tirols, sondern auch der Frechste. Also mit frech ist weniger eine freche Dichtung gemeint. Die Dichtung ist ziemlich handzahm geworden wie es vielleicht die Tiere in Pechlaners Zoo sind. Freilich kann einmal ein Themenelefant kurz wild werden und den Wärter erdrücken, aber in Felix Dichtung gibt es generell keine Bedrückung. Die Themen sind sehr windschlüpfrig geworden, immerhin ist Felix ORF-Angestellter und die Dichtung muss durch die Kanäle flutschen. Nein frech ist Felix, weil er das Keks anbrennen lässt. Das ist fast staatstragend frech, oder zumindest landestragend. Zur 195sten Hinrichtung vom Andreas Hofer gab es auch heuer wieder Kekse für verdiente Keksbelchbrüste. Aber die Kekse stehen heuer unter keinem guten Stern. Zuerst ist der Landeshauptmann nicht da, weil er in Indien die Druckkräfte von indischen Elefanten begutachten muss. Ohne Landeshauptmann kann kein Keks vergeben werden, das ist klar. Und dann ist Felix nicht da. Große Verleihung, es duftet nach Zimt und Honigschas, der Landeshauptmann hält das Keks in Brusthöhe, und jetzt kommts, wir überschlagen uns fast alle vor Augfregung: Dort, wo Felix mit seiner Brust stehen sollte, um das große Landeskeks in Empfang zu nehmen, steht eindeutig niemand! Nichts, Felix ist nicht da, das ist frech! Also die Tiroler sind ohnehin schon ziemlich kühn, aber was so Tiroler Dichter manchmal machen, das läßt einem den Atem gefrieren. Der Landeshauptmann winkt und der Dichter bleibt fern! Das ist beinahe Widerstand! Nicht nur beinahe, das ist voller Widerstand! Das ist ein Fall für den Wallnöfer-Preis für mutiges Verhalten in oder gegen die regierende Partei. Also fast so mutig wie der Wallnöfer selbst, war bei der Partei und hat es nicht gewußt, weil er die Urkunde nicht abgeholt hat, hat die Parteizugehörigkeit anbrennen lassen im Dritten Reich. Das ist der Nachteil von diesen Keksen und Urkunden, dass sie nicht riechen, wenn man sie anbrennen läßt. Oder noch schlimmer, schlecht riechen wie Tirol, und man merkt es dann nicht in Tirol, weil es wie immer riecht.

Helmuth Schönauer 01/03/05

 

STICHPUNKT 507

Nazi-Edi

Hahaha, selten so gelacht. Während der Andreas Hofer als Megalandesvater zum 195sten Mal hingerichtet wird, denn was anderes kann diese Ballerei der Schützen zum Mantua-Day ja nicht bedeuten, entlarvt man den anderen Megalandesvater, Edi Wallnöfer, als Nazi. Jetzt sind einmal alle baff, weil man diesen Vorgang nicht so managen kann wie das Naz-Eingraben in Telfs. Dort holt man diesen Naz einfach alle fünf Jahre kurz aus der Erde, tanzt mit ihm durch den Fasching und gräbt ihn wieder ein. Es stellen sich einfach zu viele Fragen. Gibt es auch gute Nazis? Also wenn Edi ein guter Mensch war, beweist es ja, dass es auch gute Nazis gibt. Muss man jetzt alle diese Gedenktafeln, die in Schulen und Bildungshäusern hängen, abmontieren? Immerhin gedenken sie ja an einen Nazi. Muss man diesen unsäglichen Wallnöferplatz vor dem Landhaus wieder umbenennen? Immerhin wurden ja im Zuge der Entnazifizierung die meisten Nazi-Straßennnamen gecleant. Kann man eine so triviale Erklärung gelten lassen, dass es zu allen Zeiten Partei-geile Menschen gibt? Das würde letztlich bedeuten, dass die heutigen Mitglieder aktueller Parteien aus dem gleichen Grund in ihre Parteien eingetreten sind, wie die Nazis damals in ihre NSDAP. Kann man nur ein bißchen beitreten, also etwa ein bißchen in der Partei sein und es gar nicht so meinen? Oder gilt der alte ÖVP-Spruch: Wer in ein Ofenrohr schaut, kriegt ein schwarzes Gesicht! An eine Erklärung hat man noch gar nicht gedacht. Wer im Braunviehzuchtverband gross geworden ist, muss geradezu zu den Nazis gehen, um das Handwerk zu lernen. So gesehen war Edi immer modern und auf der Höhe seiner Zeit. Schade, dass dieser Mythos vom Pfeifen rauchenden Landesvater mit dem schiefen Kopf auch moralisch eine Schieflage gekriegt hat. Wer weiss, wo Andreas Hofer überall dabei gewesen ist? Und wen er allen auf dem Gewissen hat, ehe er mantuisiert worden ist?

Helmuth Schönauer 20/02/05

 

STICHPUNKT 506

Geizige Hocke

Manchmal überraschen sich die Tiroler selbst, und sind intelligenter, als man es auf den ersten Blick annimmt. So verweigern sie sich bislang erfolgreich dem doofen kleinen Blatt, das als Abriss von der Klorolle vorgibt, die "Neue" zu sein. Um eine Tageszeitung kann es sich dabei nicht handeln, denn es werden bloß öde Wochengerüchte in Tagesportionen aufbereitet. Berühmte Abreger der letzten Wochen waren: Jasmin im Keller. Hat Jasmin eine Leiche im Keller? Morgen geht Jasmin in den Dachboden. Ist am Dachboden auch eine Leiche? Oder: Bullenzoff in Kitzbühel. Warum sind Bullen arrogant? Wie lange bleiben die Bullen in Kitzbühel arrogant? Das aktuelle Wochengerücht macht sich in blöden Scheiben über einen ehemaligen Schirennfahrer her. Eben noch hatte man seinen gut geformten Hintern bewundert, den er vor den Augen der Kameras die Abfahrtspisten in langen Schissen hinunter gehockelt hatte, jetzt wirft man ihm vor, eine geizige Hocke zu sein. Was hat der Arme angestellt, dass die Neue Meute über ihn herfällt? Dieser wohlgeformte Rennläufer hat bloß darauf hingewiesen, dass die hysterische Tsunami-Spenderei allenthalben nicht seine Sache ist. Das ist schlimm. Denn wenn dieser Spendenverweigerer recht hat, dann könnten andere Spendetrottel auch nachzudenken beginnen, dass das Spenden mittlerweile eine Show geworden ist, mit der Medien und Austropopper ihre Sendeflächen und CD-Tracks auffüllen. Jetzt gehts ihm nicht gut, dem ehemaligen Mister Kristallkugel. Bei der Hinrichtung bitte ausatmen! Foto! Zagg! Dann kommst du in die Neue und bist hin! - So könnte es jedem von uns ergehen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Neue bald hin ist und zum ewigen Altpapier geht.

Helmuth Schönauer 06/02/05

 

STICHPUNKT 505

Fehlpfiffe

Au au, diese Tatsachenentscheidungen! Sie sind das schlimmste, was einem in die Wahrheit verknallten Menschen passieren kann. Bei Tatsachenentscheidungen geht nämlich jemand her und entscheidet das Ding kraft seiner Position und Tagesverfassung. Was das in einem föhngeplagten Land bedeutet, weiss jeder Tiroler, der bei Föhn einmal einem Entscheidungsträger über den Weg gelaufen ist. Aber in den letzten Tagen sind auf allen Fronten die Systeme der Wahrheit zum Feind übergelaufen und haben ziemlich viel Ungläubigkeit bei den Systemgläubigen ausgelöst. In der deutschen Bundesliga pfeifen offensichtlich manche Schiedsrichter, was sie wollen, zuerst wetten sie auf einen unwahrscheinlichen Ausgang und anschließend pfeifen sie das Spiel, bis es zum Wettergebnis passt. Aber die Aufregung bei den Tirolern hält sich in Grenzen, ist doch bei uns diese systemübergreifende Ordnung der Ereignisse selbst bei manchen Regierunsgmitgliedern üblich. Da ordnet man sich durchaus selber etwas zu, was man zuerst raumgeordnet hat wie im Falle der kleinen unschuldigen Landesrätin, die ihre Erbschaft an sich selber nur noch dadurch los wurde, dass sie diese mit einem Fonds abwickelte. Fehlpfiff! In Schladming hat man bei einem Schirennen so lange an der Zeitnehmung gespielt, bis ein Tiroler Doppelsieg herausgekommen ist. Pech für alle Nichttiroler Trottel, die dieser tatsachenfreudigen Zeitnehmung in die Hände gefallen sind. Jetzt soll dieser Fehlpfiff am Sportinstitut der Uni untersucht werden. Merke: Fehler werden gut, wenn man sie an der Uni untersucht. Dabei ist natürlich die Wissenschaft an manchen Tagen in Innsbruck eine einzige Übung mit dem Daumensprung. Als dieser Tage die so genannten Landeskulturberichte unter Mithilfe von Germanisten vorgestellt wurden, wunderte sich so mancher über Beiträge, die gar nicht abgedruckt waren. Im Kerzenschein der Präsentation sprach außerdem niemand von der Lotterie, in der diese Fachbeiträge so lange gezogen wurden, bis die Zusammenstellung passte. Fehlpfiff! Der einzige, der wirklich saubere Entscheidungen trifft, ist der Föhn!

Helmuth Schönauer 01/02/05

 

STICHPUNKT 504

Tschick frei

Wer erinnert sich noch an jenen Tiroler Landeshauptmann Tschiggfrey, der als Nauderer eine passable Straße durch das Obere Gericht bauen ließ und dadurch vermeintlich unsterblich geworden ist? Zu seinem Tod wird in einer Anekdote berichtet, dass sich die Ehrenwache jeweils nach der Schicht einen Tschick angezündet hat mit der Parole: Tschick frei! Tschick frei wird es bald in Schwaz heißen, wenn die Tabakwerke ihre Pforten schließen. Aber mal ehrlich, handelt es sich hier um ein intelligentes Produkt, das nur die Tiroler herstellen können, weil sie dabei die Augen verdrehen wie Andreas Hofer, während sie die Glimmstengel wuzzeln? Es ist schon ein komisches Land, dieses Tirol. Einerseits schlagen die Ärzte die Hände über dem Kopf zusammen und empfehlen, keinen Sport mehr am Talboden zu betreiben und das Lüften auf wenige Minuten nach dem Mittagessen zu beschränken, weil eben die Luft im Land so kaputt ist. Andererseits wird geraucht, was die Lungen hergeben, und das alles mit dem patriotischen Grinsen, dass es sich ja um heimische Produktion der Rauchwaren handelt. Jetzt könnten ja wirklich die Patrioten zur Tat schreiten und es dem blöden Zigarettenkonzern in England so richtig zeigen. "Wenn die mir die Arbeitsplätze in Tirol wegnehmen, rauche ich ihnen nichts mehr!" – Das wäre alternativ, witzig und tirolerisch. In der Praxis freilich werden alle weiter rauchen, als wäre nichts geschehen. Und auch bei der Standortsicherung für Dummheit, wird man sich was Primitives einfallen lassen. Vielleicht lässt man in Schwaz Überraschungseier zusammenbauen, oder man steigt auf den Anbau von Tabak um, nachdem in der Steiermark dieser jetzt mit vollem Weltverdruss aufgegeben wird.

Helmuth Schönauer 20/01/05

 

STICHPUNKT 503

Gehreriatrie

Demnächst soll eine gigantische Vergreisung den Kontinent überrollen, fast alle Länder werden davon betroffen sein, aber Österreich ist auch hier anders. Auf die geriatrische Herausforderung reagiert die Regierung mit Gehrer. Zwar ist ihre Aufgabe nach außen hin mit Bildung umschrieben, aber das kann es wohl nicht sein. Wer Bildung als etwas begreift, was man stündlich abschaffen muss, hat etwas anderes im Sinn. Und siehe da, langsam lichten sich die Schleier. Das Konzept ist genial, soferne man ohne Hirn genial sein kann. Wenn die Gesellschaft als Ganzes die Bildung zurückfährt, fällt es nicht auf, dass einzelne Bevölkerungsgruppen die Bildung wegschmeissen. Aus Literatur und Oper wissen wir, dass Helden kurz vor ihrer Vergreisung alles unternehmen, um Aufklärung zu unterdrücken und die eigene Macht noch ein paar Stunden hinauszuzögern. Da die heute Fünfzig- bis Siebzigjährigen am Vorabend ihrer Vergreisung stehen, tun sie alles, um die nachfolgenden Generationen dumm zu halten. Das heißt konkret: Unis zurückfahren und das Bibliothekswesen killen oder verländern, was das gleiche ist. Die Saat geht auf. Die PISA-Studie ist ja eine gelungene Talfahrt in die richtige Richtung. Die jüngeren Generationen freilich sind noch nicht dumm genug, um das alles zu begreifen. So haben etwa bei der Eröffnung der Universiade Tausende im Innsbrucker Tivoli-Stadion herzzerreissend gepfiffen, als unter den Ehrengästen die Gehrer aufgerufen worden ist. Anstatt die eigene Verblödung als Geschenk zu begreifen und sich dem Sport zu widmen, haben diese Studenten nichts anderes im Sinn, als eine Ministerin auszupfeifen! Glücklicherweise konnte die Nachrichtenlage so weit in den Griff gekriegt werden, dass man nichts davon in den Nachrichten hörte. Dort hieß es bloß "volles Stadion" und man zeigte einen unendlich sprachimpotenten Bundespräsidenten, der etwas "privilegiert open" machte. Wahrscheinlich hat er in seinen Augen die generelle Geriatrie eröffnet.

Helmuth Schönauer 17/01/05

 

STICHPUNKT 502

Nachbar am Seil

Die Sintflut zu Weihnachten mag zwar Tausende auf dem falschen Fuß erwischt und in den Tod gerissen haben, in der Medienszene weiß man aber längst, wie man mit solchen Giga-Katastrophen umgeht: Mit Auswalzen und Betteln. Also jetzt wird auch der letzte Trottel, der im Winter nicht an den Strand gefahren ist, mitgekriegt haben, dass es furchtbar war und vor allem furchtbar überraschend. Aus einer Mischung von Urlaubsbericht, Reiseerlebnis und angelesener Katastrophenliteratur haben in den letzten drei Wochen mehr Erlebnisliteraten ihre Meldung abgegeben, als üblicherweise in einer Buchhandlung Bücher Platz haben. Wir Daheimgebliebenen haben uns das alles angehört und wissen mit Hilfe der Medien inzwischen wirklich alles. Die mediale Auswalzung der Flut ist mindestens so groß wie diese selbst. Es ist furchtbar, aber wir schalten inzwischen ab oder überblättern die Seiten, wenn etwas von der Flut kommt. Mit der Auswalzung einher geht immer die putzige Serie "Nachbar in Not". Schon damals im Kosovo-Krieg haben manche Österreicher wie die Wilden gespendet und letztlich eine Summe aufgebracht, die der halben Tragfläche eines US-Stealth-Bombers entspricht, welche Tag- und Nacht das Land bombardiert haben. Bei der Flut ist es genau so. Die Summe, die die lieblichen und liebenswerten Österreicher aufbringen, ist ein Fingernagel von dem, was die Regierung durch die Stundung des Zinsendienstes der betroffenen Länder aufbringen könnte. Es geht also nicht um Hilfe, sondern in der Hauptsache um Unterhaltung. Ist doch nett, ein Katastrophen-Magazin nach dem anderen zu sehen, und neben der Rundfunkgebühr dann noch etwas zu spenden, damit wieder Frieden herrscht an den Stränden unter den Palmen. Dort, wo die Vorabendserien spielen und die wirklich wichtigen Leute hinfahren. Während etwa 150 Österreicher vermisst werden, sind im letzten Jahr knapp 1000 bei Verkehrsunfällen gestorben und 1500 haben sich aufgehängt. Von der Aktion "Nachbar am Seil" hat man bisher nichts gehört, ist ja auch nicht so unterhaltsam.

Helmuth Schönauer 13/01/05

 

STICHPUNKT 501

Watschengesicht

Der Tiroler ist in seinen Beobachtungen sehr genau, weshalb er der ideale Zeuge für jedes Vorkommnis ist. Mit dem Ausdruck "Watschengesicht" meint er beispielsweise ein Gesicht, in das man einfach hinein hauen muss! Und siehe da, die Realität gibt der Sprachpotenz immer wieder Recht. Als dieser Tage eine Speckschwarte einer Liftstütze eine in die Gosche haute, sagten neun von zehn Tirolern, das ist richtig, ein Watschengesicht muss gewatscht werden. Selten einmal wurde eine Watsche als so gesund empfunden wie, jene, die der selchende Ober-Oberländer dem seilbahnenden Hinter-Oberländer verpasst hat. Selbst Pädagogen, die sonst jede Watsche strikt verbieten, sagen einhellig, dieses Mal musste sie sein, denn jede Ausnahme bestätigt die pädagogische Regel. Freilich gibt es in Wirtschaftskreisen eine leichte Irritation, weil nicht klar ist, ob es sich beim "Watsching" um eine neue Marketingstrategie handelt oder jemandem nur zufällig die würzende Speckhand ausgekommen ist. Beides ist für das Leitbild von Wirtschaftstreibenden gleich schlimm. Handelt es sich nämlich um einen Trend, dann haben ihn alle verschlafen, "handelt" es sich aber um einen Ausrutscher auf tiefstem Niveau, dann ist das hohe Niveau der Wirtschaftstreibenden gefährdet. Vermutlich wird man beim nächsten Neujahrsempfang der Wirtschaft einen generellen Watschentanz aufführen und die Siebzigstundenwoche für alle einführen. Die gewöhnlichen Menschen freilich, die die Wirtschaft als Konsumenten sinnloser Produkte erleben, ahnen die pure Wahrheit: Selbst bei den Gestopften und Betuchten geht es ziemlich primitiv zu, wenn es sich dabei um Tiroler handelt.

Helmuth Schönauer 12/01/05