Russisches Requiem

Spionage-Romane handeln letztlich vom Organisieren und Verwalten von Fiktionen. So könnte man Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" durchaus einen Spionage-Roman nennen, denn es geht ständig darum, Wissen vorzugeben oder zu verbergen.

Einen ähnlich hohen Erkenntnis-Ansatz nimmt sich Andrei Makine in seinem Roman "Russisches Requiem" vor. Darin soll letztlich ausspioniert werden, was nach dem Zerfall der Sowjetunion an Nachrichten für die Nachwelt erhalten werden soll.

Vordergründig ist dieser "Mutter aller Recherchen" ein trivialer Liebesfall darüber gestülpt, ein ehemaliger Sowjetspion sucht auf der ganzen Welt nach seiner Mitagentin, der ehemaligen Frau für alle Fälle. Diese Liebesgeschichte führt den Agenten in die Bürgerkriegszone des Jemen, ins Spionage-Mekka Paris, wo die Nachrichten unter Emigranten wie am Naschmarkt gehandelt werden, und schließlich nach Florida, wo letztlich nur Sonne und Erlösung am Programm stehen.

Als Ich-Erzähler berichtet der Agent von seiner Ausbildung, seinen Einsätzen und seinen Protokollen, die beinahe Tag und Nacht verfaßt werden. In diese Erzählmappen ist Material eingeflochten, das sich selbständig gemacht hat und keinen unmittelbaren Anlaß mehr erkennen läßt. Wie sich die besten Nachrichten ja immer selbständig machen und jedem Konnex aus den Maschen schlüpfen.

Die melancholisch-graue Erinnerungsmappe gibt letztlich ein düsteres Jahrhundertbild über die Sowjetunion ab. Die ganze Geschichte erinnert an jene Sequenz zu Beginn, wo anläßlich eines Staudamm-Baus eine Felsscheibe losbricht, den Berg hinunterkollert und mitten in einem Haus zu stehen kommt, worin gerade ein Säugling dem Jahrhundert entgegenschläft. Das Wunder ist dopplet: der Säugling überlebt und Stalin stirbt, so daß der Staudamm eingestellt wird.

"Russisches Requiem" ist ein spannender, erdnaher Roman vom Überleben durch alle Zeiten und Gegenden. Er ist ein großer Spionage-Roman, denn es soll durch ihn vor allem eines ausgekundschaftet werden: Wie komme ich als wacher Mensch zu Nachrichten, die mein Leben verändern?

Andrei Makine: Russisches Requiem. Roman. A.d.Französ. von Holger Fock und Sabine Müller. Hamburg: Hoffmann und Campe 2001. 285 Seiten. 291,- ATS. € 21,20. ISBN 3-455-05145-6

Andrei Makine, geb. 1957 in Sibirien, lebt in Paris.

[Helmuth Schönauer 20/03/01]