Permafrost

Obwohl der Biologe Jonas durch halb Europa nach Norwegen hinauf eilt, kommt er zu spät, seine Mutter ist soeben gestorben. Unter den hinterlassenen Dokumenten findet sich ein seltsamer Brief, der darauf hindeutet, daß sein Vater gar nicht in einem sowjetischen Arbeitslager gestorben sei.

Nun geht Jonas noch einmal die Familiengeschichte durch. Sein Vater war in Vilnius ebenfalls Biologe und für Frostpflanzen und Eisbotanik zuständig. Während die Familie nach Norwegen fliehen konnte, wurde Vater in den siebziger Jahren nach Russland in ein Arbeitslager verbracht.

Jonas macht sich auf den Weg nach Russland, mitten in den Permafrost hinein. Erschütternd muß er immer wieder feststellen, daß Leichen völlig unzerstört aus den Friedhöfen im Permafrost freigelegt wurden, so daß die Angehörigen bei Identifizierungen den Eindruck hatten, die Toten seien eben aus dem Haustor gegangen. Wenn man die Angehörigen aber in die Heimat nach Litauen zurückholen wollte, blieb nur noch verwester Schleim zur Bestattung, die Toten wollten offensichtlich an ihrem Sterbeort bleiben. Jonas ist von diesem Zerfall auch als Botaniker angesprochen, denn er betreut ein hundertjähriges Projekt über das Überleben von Samen in großer Kälte.

Die russische Welt im Norden hat ihre eigenen Gesetze, seit Jahrhunderten ist alles darauf ausgerichtet, den nächsten Tag zu überleben. Die Regierungen haben in der Ödnis jede Macht verloren, selbst die Popen können den Bewohnern nur empfehlen, in dieser Welt einen Schluck zu nehmen, der für kurze Zeit von innen her wärmt.

Jonas entdeckt, daß sein Vater aus dem Lager geflohen ist und einen anderen Toten an seiner statt im Wald hinterlegt hat. Aber angesichts der Kälte und der eingefrorenen Zeit, bringt auch diese neue Erkenntnis nichts, was etwas bedeuten könnte.

Permafrost ist die Unsterblichkeit am Rande der Vegetation, man kann von den Menschen nichts berichten, außer daß sie an der Kippe zur permanenten Dunkelheit irgendwie ihr Leben weitergegeben haben, wie seltene Flechten jenseits der Tundra.

Oivind Hanes: Permafrost. Roman. A.d.Norweg. von Hinrich Schmidt-Henkel. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2001. 176 Seiten. 255,- ATS. €13,72. ISBN 3-462-02974-6

Oivind Hanes, geb. 1960 in Drammen/Norw., lebt in Köln.

[Helmuth Schönauer 03/03/01]