Im Grenzland

Im Grenzland herrscht generell der Ausnahmezustand, Wirtschaft und Verwaltung sind zusammengebrochen, es gibt eine Grenze, aber niemand weiß, was sie trennt. Als Leser befinden wir uns über zweihundert Seiten lang in einer Landschaft, wie sie vielleicht Stifter im Hochwald beschrieben hat, aber es fehlt am sanften Gesetz und an der Gemütlichkeit.

Der sogenannte Schmuggler macht sich in zwölf Kapiteln auf, dringend benötigte Dinge wie Alkoholika, Medikamente und Zigaretten zu schmuggeln. Seine Geschwindigkeit wird von der Dichte der Minen definiert, das ganze Land ist vermint, und nur Experten wie der Schmuggler haben sich eigene schmale Überlebenspfade aus dem Gelände herausgeräumt.

Der ganze Roman ist absurd wie alles, was mit dem Krieg zu tun hat. In der Endzeit-Landschaft geht es immer noch um so archaische Dinge wie Religion, Territorium und Sprache.

So wird auch der Schmuggler gegen Ende seiner Mission aufgegriffen und gefoltert. Allein die Rhetorik der Folter übertrifft an Dramatik jedes Theaterstück. Im Sinne Kafkas ist alles, was der Delinquent sagt, von vorne herein falsch. Das Ziel des Verhörten muß es also sein, sich durch Verschnaufpausen der Rhetorik einen Rest von Würde und Sammlung zu verschaffen, gewinnen kann er ohnehin nicht.

Den Roman könnte man als extreme Exerzierübung für extreme Situationen abtun, wären da nicht Komponenten, die in das Leben von jedem Menschen hinein greifen. Einmal ist es die Unmöglichkeit des einzelnen Menschen, gegen abstruse politische Gegebenheiten etwas ausrichten zu können, andererseits aber entläßt selbt eine chaotische Situtaion die Protagonisten nicht aus ihrem alltäglichen Schicksal. Selbst am Ende der Welt geht es um die Organisation von Lebensmitteln, Erziehung der Kinder oder das Ausfindigmachen kleiner Plätze für einen Rest von Lebenssinn.

"Im Grenzland" ist ein beeindruckender Roman von Grenzerfahrungen, er spielt sich täglich selbst in scheinbar gesicherten Zonen in voller dramatischer Länge ab.

Sherko Fatah: Im Grenzland. Roman. Salzburg: Jung und Jung 2001. 222 Seiten. 269,- ATS. € 19,60. ISBN 3-902144-01-7

Sherko Fatah, geb. 1964 in Berlin, lebt in Berlin.

[Helmuth Schönauer 20/03/01]