Am Ufer des Flusses

Wenn man am Krankenbett sitzend die Augen schließt, vermeint man am Fluß des Lebens zu sitzen. In Jürg Amanns Erzählung sitzt der Erzähler am Krankenbett seines Cousins, es geht dem Ende zu, und beide wissen es.

Die Stimmung ist endzeitgemäß getragen, aber dennoch schlüpfen immer wieder kleine Fröhlichkeiten ins Gespräch.

Vor allem die Kindheit tritt umso stärker in den Vordergrund, je näher es dem Tode zugeht. Die seltsamsten Begebenheiten werden aufgetischt und mit dem Filter einer ganzen Lebensweisheit neu ausgeleuchtet. Tabu-Szenen aus der Kindheit, Stillschweigen oder diskretes Übergehen von kleinen Peinlichkeiten spielen jetzt überhaupt keine Rolle mehr, wie große Kinder schmunzeln die beiden über die fernen Dinge, als ob sie noch einmal auf viel zu klein geratenes Spielzeug gestoßen wären.

Jürg Amann ist der Meister der Gefühls-Langsamkeit, seine Helden benötigen oft Tage, bis ein Schmerz vom Kniegelenk zum Kopf und zurück gefunkt wird. In einer seiner Liebesgeschichten wandert gar einmal ein Held so lange zur Geliebten, bis er den Grund seiner Wanderung vergißt.

Diese Zeitlosigkeit, während es um Leben und Tod geht, ist auch das Hauptthema in der Erzählung "Am Ufer des Flusses". Der Titel ist eine Anspielung an die philosophische Erkenntnis, wonach alles fließt. Und tatsächlich fließt auch wirklich ein Fluß am Krankenbett vorbei.

Die Sätze sind so verlangsamt, als müßte jeder der letzte sein. Zwischendurch trinkt der Erzähler aus der Dose, er muß für seinen Cousin mittrinken, der nicht mehr schlucken kann. Von den Blicken wissen wird wenig, außer daß sie immer wieder im Fluß enden.

Jürg Amanns Sterbe-Erzählung ist hoffnungslos final, aber nicht ohne Hoffnung.

Jürg Amann: Am Ufer des Flusses. Erzählung. Innsbruck; Haymon 2001. 95 Seiten. 198,- ATS. € 14,43. ISBN 3-85218-350-2

Jürg Amann, geb.1947 in Winterthur, lebt in Zürich.

[Helmuth Schönauer 01/03/01]