Buch in Pension – Rezensionen 2025|01


Jörn Birkholz: Der Ausbruch. Roman.

Marie Theres Foidl: Erinnerungen der Marie Theres Foidl, geb. v. Meer.

Regina Hilber: Am Rande. Zwischenaufnahmen aus der Mitte Europas. Essays.

C. H. Huber: das schicksal ein schwarzes krokodil. Lyrik.

Gerard Kanduth: lichtbilanz. gedichte und bilder.

Markus Köhle: Land der Zäune. Roman.

Christian Kössler: Von Weltliteratur, Fabriken und gezähmter Wildnis. Mühlau.

Rudolf Kraus: versvermessung. siebzehnsilber:

Selma Mahlknecht: Schaukler. Roman.

Miriam Unterthiner: Blutbrot. Theatertext.


GEGENWARTSLITERATUR 3401

Der Ausbruch

Das Wort „plötzlich“ leitet in der Literatur oft einen Ausbruch ein. Kluge Leser wissen das und blättern im Roman oft von plötzlich zu plötzlich, damit ihnen ja kein Ausbruch als Vulkan, Seuche oder Lebensplanung entgeht.

Jörn Birkholz legt die seelische Fläche, aus der sein Held Max zum Ausbruch getrieben werden soll, ziemlich tief und bedürfnislos. Als Archivar behandelt er zwar aufregende Lebensschicksale eingelagerter Helden, gerät dabei aber selbst in einen scheinbar ereignislosen bürokratischen Schlaf.

Da freilich kommt das Wörtchen plötzlich zur Anwendung. Plötzlich meldet sich eine alte Liebschaft und bringt das beschauliche Leben noch einmal in Wallungen zum Ausbruch.

Max verrottet im Büro in Bremen, er hat es nicht geschafft, die Stadt zu verlassen. (11) Mittlerweile lebt er mit seiner Freundin zusammen, aber der Status ist amorph. Fix ist nur die gemeinsame Tochter Marie Celine, die vor allem mit dem schönen Namen punktet und deshalb ständig mit ihm angesprochen wird.

Während Max an historischen Dokumenten herumfummelt, um daraus das Schicksal einer vertriebenen Sudetendeutschen zu destillieren und in das moderne Polen zu implementieren, gerät sein eigenes Leben zu anekdotischen Kurzstorys, die weder als Dokument noch als Psychogramm der Erinnerung taugen.

Die eine Geschichte beschäftigt sich mit dem Habitus auf diversen Schulen, in denen er sich als sogenannter „Notenknaller“ zu bewähren versucht. (12) Die zweite Geschichte spielt während des Studiums in Berlin, als Max eine sogenannte „Kreuzberger Nacht“ (23) über sich ergehen lässt. Und die dritte Geschichte artet in der Kleingartensiedlung Bremens beinahe zu einem erneuten Krieg zwischen Deutschen und Polen aus, als zu Weihnachten die Familien durch Alkohol explodieren und sich eine Art Clan-Krieg zwischen Max und seiner damaligen Freundin Iza entwickelt.

Als jetzt Iza in den Erlebnisstillstand des Max abermals eindringt, gerät die Welt des Archivars kurz aus den Fugen. Es kommt zu einem Spaziergang an die Weser in das Gelände der Kleingartensiedlung, wo erst einmal eine starke Erektion einsetzt (50), mit der sich die Erinnerung an eine Zeit voller Aufbruchstimmung breit macht. Iza freilich hat größere Sorgen, ihre Mutter will sich umbringen und zuvor noch einmal in die polnische Heimat. Max soll sie dabei begleiten, weil er so gut im Aufarbeiten polnischer Mythen und Nachkriegsgeschichten ist.

Zur gleichen Zeit eskalieren im Archiv die Ereignisse, als sich Max außerstande sieht, anhand einer geretteten Brosche das Schicksal einer Vertriebenen für eine Ausstellung aufzubereiten. Der Direktor spricht daraufhin die Entlassung aus.

Jetzt kann Max in Ruhe nach Polen fahren, um den Suizid der Iza-Mutter zu begleiten. In der Wohnung des Großvaters wird noch einmal der Geheimschrank begutachtet, in dem sich dieser vor der Gestapo versteckt hat. Das Gruseln ist nach Jahrzehnten noch authentisch, kann aber nicht für die Ausstellung genützt werden.

Gerade als die Erinnerungen sortiert ist und der Suizid vertagt werden kann, kommt die Iza-Mutter bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Manchmal wirkt Zeitgeschichte wie eine Inszenierung.

Bei Max zu Hause hat sich inzwischen das Verhältnis zu Annette und dem gemeinsamen Kind geklärt. Gerade als die zweite Schwangerschaft ansteht, erfährt sie von der polnischen Eskapade, worauf das psychische Reinemachen einsetzt. Die einen fahren in die Kindheit im Schwarzwald zurück, Max zieht zu seinen Eltern ins ehemalige Jugendzimmer.

Jörn Birkholz erzählt das Unmögliche, nämlich den Ausbruch aus einer archivarisch gesichteten Welt mit Gefühlen aus der Gegenwart. Dazu bedient er sich dreier Erzählschichten, die nahtlos in einander übergehen. Einmal ist es die Sprache des Dokuments, die zu Schauzwecken verlebendigt werden muss, dann ist es die subjektive Darstellung des Ich-Erzählers, und drittens ist es das Protokoll einer Außensicht, wenn die Geschehnisse scheinbar ohne Zutun der Helden ihren Lauf nehmen.

Über dem ganzen Unterfangen des Ausbruchs hängt eine feine Ironie, die auf der Erkenntnis aufbaut, dass für kleine Helden schon kleine Ausbrüche genügen, um sie aus der Bahn zu werfen.


Jörn Birkholz: Der Ausbruch. Roman.

Düsseldorf: Karl Rauch Verlag 2024. 192 Seiten. EUR 25,-. ISBN 978-3-7920-0291-9.

Jörn Birkholz, geb. 1972, lebt in Bremen.

Helmuth Schönauer 06/02/25



TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 2427

Erinnerungen der Marie Theres Foidl

Im Jahr 1951 sitzt eine Mutter in St. Johann vor einem leeren Papierhaufen und beginnt mit dem Aufschreiben von Erinnerungen für ihren Sohn. Die Schreiberin ist Marie Theres Foidl vom Lacknerhof. Sie ist aus Deutschland zugezogen und will ihrem Sohn erklären, dass man auch eine interessante Lebensgeschichte haben kann, wenn man nicht aus Tirol stammt.

Bei autobiographischen Aufzeichnungen ist eine wesentliche Frage entscheidend: Was wird wie eingegrenzt und was wird weggelassen?

Die Geschichte der Lacknerhofbäuerin spielt im Saarland, Ruhrgebiet und im Bonner Raum von 1900 herauf bis 1932. Sie endet mit einer vagen Andeutung, dass die Erzählerin in Innsbruck ihren Mann kennengelernt hat, den späteren Vater des angesprochenen Sohnes.

Die Erzählperspektive ist mehrfach gefiltert. Einmal ist es die biographische Brille, die jede Kindheit in einem milden harmonischen Licht erscheinen lässt, andererseits ist es der Blick auf die Zeitgeschichte, der umrahmt ist von unausgesprochenen Ereignissen, deren Auswirkungen auf das Jahrhundert aber mitschwingen.

So wird die heraufziehende Naziherrschaft nicht definitiv erzählt, aber in der Reflexion der Familiengeschichte lässt sich hinterher zusammenreimen, aus welchen Quellen der Faschismus gespeist worden ist.

Der Schwerpunkt der Erinnerungen liegt in der Familienchronik, es soll ja erklärt werden, wo diese Familie herkommt, wie sie gelebt hat, und was sie zusammengehalten hat.

Die Geschichte der von Meer ist eine Gruben- und Bergbaugeschichte. Vater hat diverse Schächte im Saarland beaufsichtigt und später im Ruhrgebiet erschlossen und bergmännisch betreut. Mit diesem Beruf geht einerseits ein gewisser Wohlstand einher, andererseits ist der Bergbau eine starke Triebfeder für das politische Agieren.

Aus der Innensicht einer Direktionsfamilie wird die bergmännische Kultur geschildert, die für uns insofern recht aufregend exotisch ist, weil bei uns in Tirol ja nur die touristische Kultur ausgeprägt ist. Dieser latenten Ablehnung aller Kulturen außerhalb des Touristischen stellt die Autorin ihr Bergbau-Bürgertum als eine in sich geschlossene, ritualisierte Welt entgegen. Allein der Vorgang, wie sich Zugezogene bei den Einheimischen der gleichen Klasse vorzustellen haben, eröffnet eine unerwartete Welt, den Ritualen beim Adel nicht unähnlich.

Als Richtlinie gelungenen Verhaltens gilt in diesen Kreisen eine preußische Beamtenregel: Wohnen überm Stand, Kleiden nach dem Stand, Essen unterm Stand. (22)

Diese heile Welt wird freilich durch den Ersten Weltkrieg auf den Kopf gestellt, zumal sich Saar- und Rheinland als politischer Hotspot nach Kriegsende entwickeln. Nach Revolten, Besetzungen durch die Sieger und emotionaler Aufladung der Verlierer werden hier die Sprengschnüre für den Zweiten Weltkrieg gelegt.

Die Erzählerin erfährt diese Lebenskrise elementar durch den Tod des Bruders und das Dahinsiechen des Vaters. Der Krieg fordert unabhängig vom angepeilten Stand seine Opfer.

Die Familienchronik wird in der Folge mit Kapitelüberschriften versehen, welche Ausflugsziele, Urlaube, berufliche Einschnitte, Heirats- und Sterbegeschichten beinhalten. Die Protagonisten werden bewusst in einem allgemeingültigen Licht gezeigt, die Namen sind egal wie in einem Roman, es geht um ihre Wesenszüge und die Art, wie sie mit den zugeteilten Schicksalsschlägen zurechtkommen.

Für die Heldin tut sich als Zwanzigjährige Europa als Kontinent auf, der mit dem Motorrad pfiffig bereist werden kann. Im letzten Drittel treten daher die Ziele in den Vordergrund, die mit dem Motorrad abgegrast werden. Meist ist der Bruder der Anstifter dieser Reisen, die regelmäßig in Stürzen und Verkehrsunfällen enden.

Diese Art des trendigen, unpolitischen Herumreisens in einer aufgewühlten Zeit, schlägt auch die Brücke zu Tirol, wo dieser Lebensstil ja bis zum Exzess gepflegt wird, möchte man zustimmend ergänzen.

Die Aufbruchsstimmung des Motorradtourismus endet mit dem lapidaren Satz. „Auf der Rückreise haben wir in Innsbruck Deinen Vater kennen gelernt, aber davon will ich jetzt nicht erzählen, damit fängt ein neues Kapitel an.“ (358)

Die „Erinnerungen von Marie Theres Foidl“ sind ein Heimatbuch im besten Sinne. Es schildert den Reichtum, den Menschen mitbringen, wenn sie in Tirol ansässig werden, das sich selbst als die Heimat aller Heimaten hält. Die Chronik ergibt eine optimistische, abgerundete Geschichte, die letztlich Grundvoraussetzung für ein gelungenes Leben ist. Wer seine Erinnerungen für sich selbst ins reine bringt, bringt auch sein eigenes Leben eine Runde weiter in Richtung Lebensglück.


Marie Theres Foidl: Erinnerungen der Marie Theres Foidl, geb. v. Meer. Lacknerbäuerin 1900-1963. Mit Fotos.

St. Johann: Verlag Hannes Hofinger 2025. 360 Seiten. EUR 29,90. ISBN 978-3-9505074-3-0.

Marie Theres Foidl, 1900-1963, war Lacknerbäuerin in St. Johann.

Helmuth Schönauer 10/02/25



TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 2424

Am Rande

In beinahe geheim überlieferten Lebenserfahrungen ist oft die Rede davon, dass die fettesten Gräser am Rande eines Feldes anzutreffen sind. Und auch im weiten Feld der Kultur gilt die Erfahrung, dass sich die essentiellen Dinge oft am Rand abspielen.

Regina Hilber wendet in ihren Essays „Am Rande“ ihr Augenmerk diesen Randzonen zu, die das genaue Gegenteil einer sogenannten Randnotiz sind. Sie stellt das jeweilige Thema in den Mittelpunkt authentischer Erfahrungen und entrückt es dadurch dem Rand. Ihre Essays sind nämlich „Versuche“ im wörtlichen Sinn, Reise- und Lektüreerfahrungen zu einem neuen Thema zu verschmelzen. Und wie bei ungewöhnlichen Versuchen üblich, ist auch der Leser dazu angehalten, seine Lektüre des Essays als offenen Versuch des Lesens zu betreiben.

Mit dem Untertitel „Zwischenaufnahmen aus der Mitte Europas“ sind drei Kreisbewegungen subsumiert, die Italien, entlegene Teile Mitteleuropas und das ehemalige Galizien und Lodomerien durchstreifen. Die Texte fußen auf Reise-, Lese- und Reflexionsarbeit der letzten fünf Jahre.

Was am Rande so alles historisch, kulturell und politisch zu liegen kommt, zeigt gleich der erste Text „Am Rande – Sumpf und Mussolini“. Etwa siebzig Kilometer südöstlich von Rom liegt jener Sumpf, der Mussolini einst groß gemacht hat, indem er diesen trockengelegt hat. Ein Ausflug in dieses Areal mündet in der Stadt Norma, die offensichtlich einen einzigartigen Weg gefunden hat, unversehrt durch die Geschichte zu schlüpfen, indem sie jeweilige Parolen und Zuschreibungen durch Zeitgenossen ignoriert und als bloße Schriftzüge an den Hausfassaden stehen lässt.

Eine Begehung des scheinbar ruhig gestellten Ortes zeigt Schriftzüge aus der Mussolini Zeit, die überlagert sind von aktuellen Parolen der Neofaschisten. Beide Welten liegen still vor der Betrachterin und müssen von ihr zum Leben erweckt werden. Das reflektierende Ich gesteht sich dabei eine unendliche Zuneigung zu Italien, intensiver als es eine Liebe zu Menschen sein könnte. Aber dennoch ist das große Wort Liebe maßvoll, denn es inkludiert, dass man damit auch das Böse akzeptieren und ertragen muss als Wesenszug des Geliebten.

In die Stille des Ortes sind Geräusche hineingeschnitten, die beim Anstreifen des Löffelchens an der dicken Tassenwand des Espresso entstehen. Begleitet wird dieses gehörte Szenario von Bildern, die stilvoll inszeniert sind. Im Buch abgedruckt erscheinen sie als Schwarzweiß-Fotos. Die Hausinschrift aus der Mussolini-Zeit ist gleich groß wie die nach hinten gedrehte Beschriftung der Espresso-Tasse und lässt erahnen, dass der Rand von etwas auch immer eine eigene Maßeinheit beinhaltet.

Ein ähnlich dramatischer Vorfall des Erlebens „spielt“ sich in Ferrara ab, das als Fahrradstadt Italiens gilt. Der Dom als obligates Fotomotiv jenseits aller Zeiten wird plötzlich plastisch und „konstruktiv“, wenn er hinter einem Spalier abgestellter Räder auftaucht. Auch dieser Text vermittelt ein unvergessliches Geräusch, wenn jäh Zikadengetöse einsetzt.

Regina Hilber nähert sich den Städten und Randlagen mit allen direkten Sinnen, die eine Durchstreifung des Gebietes zulässt. Anschließend in der Reflexionsphase im Hotel kommen die Lektüreerfahrungen zum Zug, die das Erlebte ergänzen, konterkarieren oder auch stilvoll ausblenden. Allmählich wird der Grund dieser Randerfahrungen klar: Es geht um die Verwirklichung einer Identität im Strom von Architektur, Zeit und Geschichte, Gesellschaftskritik oder Politik.

So wird die Stadt Bologna zu einem Ort der Auseinandersetzung mit Pier Paolo Pasolini, der den Essay als wuchtiges Zitat abschließt. „Wenn ein Dichter keine Angst mehr einjagt, soll er besser die Welt verlassen“. (81)

Ähnlich nachdrücklich klingt das Essay-Porträt über Triest nach, wenn in den Wahrnehmungen der Stadt plötzlich eine klitzekleine Erzählung eines unbekannten Meisters versteckt ist. Feruccio Fölkel (1921-2002) liefert mit seiner „Erzählung vom Jahre 5744“ den wahren Grund für den Triest-Besuch, und tatsächlich entsteigt er dem Rand der Literaturgeschichte und rückt für ein paar Seiten ins Zentrum der Lektüre.

Jeder der vierzehn Essays „erfindet“ einen originalen Zugang zu den behandelten Städten, Geländen, Mythen und Bildern „am Rande“. Die Alpen, sonst oft als Zentrum des Gebirgswesens dargestellt, schrumpfen zu einem zusammengebundenen Blumenstrauß in Blau – Symbolfarbe für den rechten Rand. In einer Art essayistischer Kernschmelze mutiert der Rand des Allgäus zu Lyrik.

Die Aufsätze über die Galizischen Städte und ukrainischen Kriegsstätten erzählen von der Zeitlosigkeit, die den ukrainischen Hotspots der Geschichte innewohnt, wenn man sie vom Friedhof aus denkt. Hinter dem Rand liegt das Verschwunden-Sein, könnte man zusammenfassen, wenn man die historische Bezeichnung Lodomerien für das Herausfallen aus der Geschichte nimmt.

Regina Hilber rückt mit ihren Zwischenaufnahmen den Rand für kurze Zeit in die Mitte, ohne deshalb die Mitte zu verdrängen.


Regina Hilber: Am Rande. Zwischenaufnahmen aus der Mitte Europas. Essays. Mit einem Vorwort von Peter Hodina. Bilder.

Wien: Theodor Kramer Gesellschaft 2024. 278 Seiten. EUR 24,-. ISBN 978-3-903522-19-0.

Regina Hilber, geb. 1970 in Hausleiten, lange Jahre in Tirol, lebt in Wien.

Helmuth Schönauer 25/02/25



TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 2423

das schicksal ein schwarzes krokodil

Das Krokodil frisst dem Kasperl aus der Hand, wenn ängstliche Kinder zusehen. Außerhalb der Bühne frisst es freilich alles, woran Menschen hängen die entlegene Kindheit, den hübschen Körper, die geliebten Angehörigen.

C. H. Huber umkreist in fünf Zyklen die Areale der Verluste, in die jeder Mensch während des Lebens hineingetragen wird. Mit straffen Überschriften werden Trauer und Melancholie auf den Punkt gebracht: Check | schlaf & schlaf | übers jahr | sommer . dennoch | schwarzes krokodil oder requiem für eine tochter.

Die Gedichte sind etwa halbseitig groß und hängen wie Zapfen vom oberen Buchrand. An der breiten ersten Zeile klebt das Gedicht an einem unsichtbaren Anlass, der offensichtlich den Text zum Ausharzen gebracht hat. Die Zeilen an der Mittelachse ausgerichtet erwecken den Eindruck eines hängenden Vers-Baumes, der unten an der Spitze einen fetten Begriff als Unterschrift festhält.

Dieses Bodenwort ist oft eine unscheinbare Fügung, die das soeben Gesagte relativiert: „manchmal“, „vorerst“, „später“ sind semantische Verstrickungen an die Außenwelt des Gedichtes, der Leser erhält zudem einen Hinweis, das Poem nicht zu schnell abzulegen, sondern wirken zu lassen als Medikament oder Genussmittel.

Ab und zu sind auch „Nebenwirkungen“ des Gedichtes angegeben, Notwehr, Nachtgeburten, Herbst, Kriegsbeginn Ukraine. Manchmal steht auch eine Art Tagesmotto am Ende des Gedankenzapfens, selten eine Gebrauchsanweisung, dazu ist die angestimmte poetische Tonlage zu polyphon. Die erzählende Perspektive ist außerhalb des schreibenden Körpers angesiedelt, als ob die Eindrücke über das beobachtende Subjekt hinausschössen direkt hinein in das Gedicht.

Check (7) – In einer komplizierten Gesellschaft muss alles ständig überprüft werden, ob es noch kompatibel ist mit dem Sinn, der vor langer Zeit ausgestreut worden ist. Naheliegend ist der Körpercheck, der täglich misst, wie die Alterung voranschreitet. Aber auch das Jahr muss ständig neu vermessen werden, ob es den Verheißungen entspricht, die es zu Neujahr ausgegeben hat. Und selbst das Starten eines neuen Tages braucht Selbstanalyse und Selbstreflexion.

schlaf & schlaf (33) – Diese seltsame Verdoppelung wie in einem Firmenlogo weist darauf hin, dass der Schlaf nicht als Einzelperson, sondern quasi als Unternehmen auftritt. Wenn wir vom Schlaf zu Lebzeiten sprechen, meinen wir einen lebenslänglichen Zustand, der uns mehr oder weniger heftig nächtens aufsucht. In den Gedichten reitet jemand durch die Nacht, wehrt sich gegen einen Überfall von Illusionen, muss zum nächtlichen Boxkampf ausrücken oder überhaupt Dämonen tief im Innern der Seele bekämpfen. Und letztlich ist es der ewige Schlaf, der diese Kämpfe beendet.

Übers Jahr (49) – Was nun, fragt eine lyrische Seele, nachdem sie sich an alten Tagebüchern delektiert hat und ergriffen ist von den stillen Veränderungen im Laufe der Zeit. Die Winter sind anders gewesen, Marienkäfer gab es auch außerhalb von Bilderbüchern, der Bach hat sich von der schönsten Seite gezeigt, indem er am Ufer leckte, statt es zu überschwemmen. Die Körpergefühle haben sich früher an die Jahreszeiten gehalten, Frühlingserwachen war genauso erlaubt wie Brautwerbung unter einem Milch-verschmierten Himmel. Jetzt stehen Herbstdepressionen an, der Marktplatz von Innsbruck zeigt sich als Gerippe für eine Abluftanlage, hinter seinen Lüftungsstutzen gleicht die Literatur einem Strich in der Landschaft. Gleich fünfmal muss das Gedicht ansetzen, um diesen Strich hinzukriegen, dabei entstehen fünf Gedichte.

Sommer. Dennoch (79) – Den Depressionen zum Trotz bricht das Sommerpersonal aus sich selbst heraus, die einen im Schanigarten werden unterhalten vom Grummeln schwerer Maschinen, welche die Freiheit versprechen, die anderen fliehen an magische Orte auf Kreta, um dort jäh auf brutale Wahrheiten zu stoßen. „Das Licht der Erotik ist erloschen, vielleicht für immer.“ (89)

Schwarzes Krokodil (89) – Das Requiem für eine Tochter ist in zwanzig Kapitel gegliedert, mit römischen Ziffern unterschrieben wie auf Grabsteinen. Aus der Trauer heraus nähert sich die Hinterbliebene der Vorausgegangenen. „stirbst / ihr jeden tag / ein wenig mehr entgegen / bereits ziemlich manifest / in dem was dich plagt.“ (107) Das schwarze Krokodil liegt seit Urzeiten im Gewässer der Trauer. Es hält die längste Zeit still und dann schnappt es zu und reißt dich in die Tiefe hinunter mitten ins Schwarze hinein.

C. H. Huber schaut den Gedichten scheinbar unbekümmert von außen zu, wie sie ihre Heldinnen belauern. Und wenn die Texte zuschnappen, bleibt die Hoffnung, dass die Sachen rund ums Altwerden, Sterben und Trauern halbwegs gut ausgehen. „Täglich sitzen Dämonen im Bett […] der graue Schwamm aus Vergangenheit lässt nicht mehr viel zu.“ (49)


C. H. Huber: das schicksal ein schwarzes krokodil. Lyrik.

Innsbruck: Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative TAK 2025. 112 Seiten. EUR 20,-. ISBN 978-3-900888-91-6.

C. H. Huber, geb. 1945 in Innsbruck, lebt in Innsbruck.

Helmuth Schönauer 27/01/25



TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 2428

lichtbilanz

In der Lyrik und in der Fotografie kommt es vor allem auf das Licht an. Beim ersten Einsetzen der Dämmerung lässt sich eine erste Bilanz ziehen: Wie war das Licht des Tages und welche Bilder hat es zugelassen?

Gerard Kanduth zieht mit seinem Gedicht- und Bilderband eine Lichtbilanz zum Tag, zum Aufflackern der Jahreszeit und wohl auch zum Abklingen-lassen der Alltagsrasanz. „an der schwelle / zwischen tag / und nacht / ziehst du / lichtbilanz // was und wieviel / hast du / gegeben / bekommen / genommen / gewonnen / verworfen / verloren // ist dein blick / klarer oder trüber / geworden“ (91)

Von dieser Bilanz spricht auch Engelbert Obernosterer in seinem Vorwort, wenn er das erste Aufflammen der Lyrik Kanduths beschreibt. Noch vor der Matura ist er mit glasklaren Texten hervorgetreten und hat die Pädagogenschaft in Verwirrung gebracht. Später hat er fünf Lyrik- bzw. Kurzprosabände verfasst und sich diese quasi vom Mund des Berufes abgespart. Denn sein Beruf als Richter verlangte vollen Einsatz und wohl auch Aussparung des Lyrischen, während es die Welt zu verhandeln galt. Jetzt ist der beinahe Verschollene wieder da, und noch immer sind es die zu Wortkristallen geschliffenen Meisterstücke, die eine helle Lichtbilanz aufschlagen.

Zu dieser Methode des Herausschleifens und Abglättens der Motive gehört es auch, die Gedichte so gut es geht in Nahkontakt mit jenen Bildern treten zu lassen, die während des Schaffensprozesses entstehen. So ergänzen einander Bilder und Texte auf jene zeitlose Art des Nebeneinander-Schauens, die in der Gegenwartstechnik des Scrollens nicht mehr möglich ist.

Während am digitalisierten Screen die Bilder nach Wegwischen verlangen, ziehen die Bilder im Lyrikband das Interesse des Beschauers in die Tiefe und verbitten sich das schnelle Vorbeischauen. Blickdichte heißt dieser Vorgang, der mit dem Bild des jungen Haubentauchers erklärt wird, dessen ganze Welt aus Schilfrohr besteht. (57)

Die knapp sechzig Gedichte sind vorerst mit mehrdeutigen Ordnungsbegriffen überschrieben und über ein Inhaltsverzeichnis abrufbar, die beigestellten Fotos sind ohne Titel, aber sie sprechen in den naheliegenden Texten die Einladung aus, mit dem Vokabular des Gedichtes auch das beigefügte Bild zu bestreiten. Durch diese Andockmöglichkeit zwischen Bild und Text werden die Lesemöglichkeiten schier unendlich.

Thematisch spielt dieses Mehrschichtige eine tragende Rolle. Im Gedicht Bootsklassen heißt es dazu, dass es besser ist, mit den Armen zu rudern als mit den Reichen. Diese Unschärfe des Sachverhalts artet schließlich beim lyrischen Ich in semantische Leere aus, wenn vor lauter Sehnsucht nach Glück der Name des gebuchten Hotels verlorengeht. An anderer Stelle ist es das Glück selbst, das es vermasselt, indem es nämlich keinen Parkplatz für den Glückssuchenden zur Verfügung stellt.

Schon das Eingangsgedicht zeigt die Tücken von allzu genauem Planen auf. „optimierung / vor lauter landkarten lesen / ganz / auf die / abreise / vergessen“ (11)

Das Erstellen einer Lichtbilanz bedarf großen Einsatzes von Kurz- und Langzeitgedächtnis. Eine Hilfe für Bilanzen in der Erinnerungsferne sind oft Songs und Ohrwürmer, die jäh auftauchen und sich auf die Schulter des Lyrikers setzen, bis das Gedicht fertig ist. Aus pop-poetischen Titeln wie „sentimental journey“, „sunday afternoon“ oder „get your motor running“ baut sich die Stimmung einer fernen Jugend auf, Internats-Einsprengsel fliegen durch die Erinnerung auf und werden an einer Stelle gar zum Alptraum, als Stoßwellen (21) eines Erdbebens die Insassen flüchten lassen. Noch nach Jahren setzt Grauen ein bei der Vorstellung, dass ein Internat ja auch ein Grab sein könnte.

Ein Klassentreffen, als plötzlich alle in weißem Haarschmuck auftreten, hat ebenfalls Potential für alptraumhafte Deutung.

An der berührendsten Stelle dieser Reise nach dem ausgewogenen Licht geht die Erinnerung bis in die Vorzeit des Autors zurück. Unter dem unauffälligen Titel Endbahnhof ist das Schicksal des Großvaters in vier Strophen aufgeschrieben. Er wird am Kriegsende in der Danziger Bucht vermisst, die Großmutter wartet und konsultiert gar eine Wahrsagerin, aber er kommt nicht und wird zwei Jahre vor der Geburt des Autors rechtlich für tot erklärt. Diese „Todeserklärung“ ist eine der seltenen Stellen, wo Gerard Kanduth etwas mit dem Recht zitiert. Sonst verlässt er sich auf Bilder und Lyrik, die wahrscheinlich die gerechtesten Urteile über die Welt zu fällen imstande sind.


Gerard Kanduth: lichtbilanz. gedichte und bilder. Mit einem Vorwort von Engelbert Obernosterer. Fotos von Gerard Kanduth und Anna Theresia Kanduth

Klagenfurt: Hermagoras 2025. 102 Seiten. EUR 24,90. ISBN 978-3-7086-1358-1.

Gerard Kanduth, geb. 1958 in Lienz, lebt in Schiefling am See.

Helmuth Schönauer 12/03/25



TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 2426

Land der Zäune

Hans schlägt einen Pfosten ins Erdreich und setzt einen kulturellen Claim in die Landschaft. Er ist jetzt eingemieteter Häuslbauer im Speckgürtel und hat sich erfolgreich einen Flecken Sprache, Gesinnung und Lebenssinn durch Umzäunung gesichert.

Markus Köhle schickt seinen Helden Hans in ein bodenständiges Abenteuer im Siedlungshotspot Unterbrombachkirchen irgendwo bei Wien. Als Bewohner einer eingezäunten Einfamilienburg durchlebt der selbst eingesperrte Zaunkönig einen intimen Zugang zur österreichischen Kultur, Politik und Denkweise. Alles ist geprägt von einem reinrassigen Flair an Mittelmäßigkeit.

Das „Land der Zäune“ entwickelt sich vor den Lesenden in drei imperialen Schleifen.

Im ersten Akt „Die Zaunwerdung“ (9) benimmt sich Hans als Pionier, der sich im Nichts einrichtet und quasi die Insel, die Robinson frei im Meer liegend vorgefunden hat, für sich bewohnbar macht, indem er alles ab- und einzäunt.

Zu diesem Beschaffungsvorgang für Heimat gehört die Kunst des Sich-Abgrenzens, die Entwicklung einer eigenen Sprache und die Installation einer Einweg-Blase, in die man einmal hineinschlüpft, aber nicht mehr herauskommt.

Vor dem Zaun winkt das Schild „Europaweg“ wie die Verhöhnung des Projekts. Hans hat sich die Dienste einer „Entsorgerin“ zu eigen gemacht, diese Person ist Psychologin, Ratgeberin, KI und Netz-Administratorin und berät in allen Siedlungsfragen, was jedoch meist auf einen neuen Schritt der Abgrenzung hinausläuft.

In Griffweite ist stets Mutter Sagmeister um die Wege, die dem Leben des erwachsenen Buben den Anstrich von Normalität verleiht. Hinter der Abgrenzung entwickelt der Einsiedler teils verstörende, teils perverse Rituale. So verschwindet die Nachbarkatze auf seltsame Weise und wird mumifiziert der Besitzerin als Präsent gemacht.

Im zweiten Akt „Die Verpuppung“ (83) zieht sich Hans in sich selbst zurück, um ein politisches Monster zu werden. Hinterm Zaun zeigt er umgängliche Züge und versucht mit den neuen Nachbarn Freundschaft zu schließen, was freilich eine radikale Veränderung seiner Einstellung voraussetzt. Mini und Cooper, die beiden Katzen, bewirken im Helden eine Metamorphose nach dem Motto: Wenn man es mit Katzen kann, kann man es auch mit den Leuten.

Zu dieser freundlichen Seite gehört auch die Aufarbeitung der Vergangenheit, die vor allem in Frauen besteht. Drei sogenannte „Exen“ werden psychologisch analysiert und aufgearbeitet. Beziehungen sind in der Hauptsache dazu da, dass man später hinter dem Zaun heraus über sie reden kann.

Im dritten Akt „ Die Entfaltung“ (189) entwickelt sich Hans zu einem vollblütigen Zaunkanzler. Unterstützt von der Blasensprache, abgesichert von Zäunen und Abgrenzungen jeglicher Art entsteht schließlich eine Zaunpartei, die Züge einer neuen Weltordnung beinhaltet. Nicht umsonst in von einem Zauniversum die Rede und seine Realität ist in einem eigenen Zauni-pedia abgebildet.

Unter dem Kürzelnamen Hanszö überschreitet der Zaunkanzler alle Grenzen, seine Mutter macht daraus eine umgarnende Story vom kleinen Zaunprinz. In einer Miktion aus Parteiprogramm, esoterischer Weissagung und märchenhafter Apokalypse endet der Roman als monumentale Historienmalerei über die aktuelle österreichische Geschichte.

Im Anhang taucht dieses Pandämonium der eingezäunten Mittelmäßigkeit als ABC des kleinen Zaunprinzen auf. (213) Darin ist von Alltag über Ordnung, Wut und Yoga alles in Merksätzen ausgesprochen. Der Zaun kommt sogar in zwei Schattierungen zum Vorschein wie die Wahrheit, von der es ebenfalls zwei Möglichkeiten gibt.

Zaun. Der Zaun ist das Goldketterl des Halses Haus.“

Zaun. Der Penisring ist der Zaun des kleinen Mannes.“

Markus Köhle lässt der Sprache freien Lauf. Mal schält sie sich aus Zeitungen heraus und mutiert zu einer skurrilen Geschichte, dann tritt sie als Essay auf und versucht, die Metaebene auszutricksen, der Hörfehler ist Dauergast der Kommunikation wie die Selbstbespiegelung während der Selbstreflexion. Der wichtigste Kumpel ist der Mähroboter, der als Rohmähn ein gefügiger Lebenspartner für Hans wird.

Philosophisch gesehen könnte man den Helden als modernen Sisyphus ansprechen, der eingezäunt in sich selbst durch das Netz flegelt und dabei Politik macht.

Für österreichische Verhältnisse handelt es sich um einen ausgesprochenen Thriller, der die Nerven empfindsamer Seelen immer an der falschen Stelle erregt. Letztlich können Kurzschlüsse, Erosionen des Lebenssinns und Desaster des Alltags durch keinen noch so fixen Zaun „in Zaun gehalten“ werden.


Markus Köhle: Land der Zäune. Roman.

Wien: Sonderzahl 2025. 240 Seiten. EUR 25,-. ISBN 978-3-85449-673-1.

Markus Köhle, geb. 1975 in Nassereith, lebt in Wien.

Helmuth Schönauer 28/02/25



TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 2422

Von Weltliteratur, Fabriken und gezähmter Wildnis

Wenn man ein gesamtes Leben als Biographie in einem Buch unterbringen kann, so müsste es auch möglich sein, einen gesamten Stadtteil zu einem Buch zu verdichten, indem man einen begeisterten Bewohner darin herumgeistern lasst.

Seit Jahren lässt die Wagnersche Buchhandlung in der Tradition sorgfältiger Geschichtspflege belesene Abenteurer durch die Stadtteile von Innsbruck pirschen, um darin Phantastisches zu entdecken und für die ahnungslosen Bewohner freizulegen.

Christian Kössler ist als Bibliothekar und Autor grotesker Geschichten prädestiniert für eine Erkundungsreise durch Mühlau, das sich als gebirgiger Stadtteil Innsbrucks wie ein Kind an die Nordkette klemmt.

Seine sechzehn Spaziergänge stellt er unter die weit ausholenden Begriffe „Weltliteratur, Fabriken und Wildnis“. Auf das lokale Metermaß heruntergebrochen stecken dahinter die Aha-Erlebnisse rund um den Lyriker Georg Trakl, die Rauch-Mühle, die seit Jahrzehnten den östlichen Zutritt zur Stadt mit feinem Mahlwerk überwacht, und schließlich die ungebrochene Wildnis, die erst im Untergeschoß der Nordkette so richtig werkelt als eine der größten Trinkwasserquellen des Kontinents.

Die Erkundungstouren sind sorgfältig vorbereitet, indem der Autor im Stadtarchiv und an der Unibibliothek alles Zeitgeschichtliche studiert, das irgendwie mit Mühlau zu tun hat. Dazu kommen die mündlichen Darbietungen einheimischer Solitäre, die atemlos berichten, wie es früher war. Und das haptische Abgreifen des Geländes mit Berg- oder Stadtschuhwerk lässt die Geschichten plastisch werden wie ein Theaterstück, das Schauspieler in den Spielboden treten.

Die Weltliteratur in Gestalt von Georg Trakl ist vor allem durch den Kulturmäzen und Namensstifter des Brenner-Archivs Ludwig von Ficker in Mühlau sesshaft geworden. Aus aller Welt strömen schwermütige Literaturliebhaber an die Grabstätte Trakls, um mit etwas Glück und Föhn jenen morbiden Hauch von Vergänglichkeit zu erhaschen, der die Gedichte Trakls umweht.

Ein Zitat von Karl Kraus, wonach Mühlau die Heimat positiver Gedanken sein könnte, gibt dem Stadtteil zusätzliche Bodenständigkeit in der Welt der fiktionalen Literatur.

Die Fabriken aus der Gründerzeit haben Mühlau ein unverwechselbares Gesicht gegeben, sind sie doch neben ihren Gebäuden vor allem als Wasserwerke, Brücken und Bahnen in Erscheinung getreten. Vieles steht unter Denkmalschutz, wie etwa die Innbrücke der klassischen Hungerburgbahn, die sich nur mehr als Memorial einer vergangenen Epoche nutzen lässt.

Vielleicht hängt es mit der häufigen Föhnstimmung zusammen, dass immer wieder Nostalgie und Blues um die Ecke schauen, wenn man von der Durchzugsroute abweicht und sich in verschwiegenes Gelände begibt.

Ganz Hollywood war seinerzeit in einem Kino zu Gast und hat Cineasten aus ganz Tirol ins Koreth-Kino getrieben. Später wurde diesees sinnigerweise für Hochzeiten a la Hollywood verwendet, ehe es dann zu einem prägenden Architekturpunkt des Hauptplatzes geworden ist.

Wenn man in der richtigen Seitengasse unterwegs ist, trifft man jäh auf ein Kloster, das als Archiv der Kontemplation gelesen werden kann. Oft schon beim Vorbeigehen verändert sich der Zeitstrom, mit dem allerhand Flanierende unterwegs sind.

Je länger man den Stadtteil durchstreift, umso häufiger tun sich seltsame Zugänge, Geländeritzen, Gartenfluchten oder Gesimskanten auf, die vielleicht ein Geheimnis hüten. Der Autor Christian Kössler lässt darin schelmisch seine Grotesken spielen, die er als Happening im Stadtteil inszeniert oder in der Stadtteilbibliothek präsentiert. Bei dieser Gelegenheit beginnen die vorgetragenen Geschichten zu flackern und zu wummern und lassen Mühlau in einem Licht erscheinen, das nicht von dieser Welt ist.

Das Mühlau-Buch ist weit mehr als ein Stadteilführer oder Exzerpt aus der Geschichte. Die einzelnen Pointen sind wahrhaftig recherchiert und real, indem sie aber in einen Spaziergang der Imagination gestellt werden, ergibt sich jenes Schaudern, das ironisch oft als „Mühlauer Trakl-Flair“ bezeichnet wird.

Der „Hausspruch“ der über den Stadtteil gespannt ist und dem Buch als Vorspann dient, stammt aus einem Gedicht, das die damals neunjährige Tochter des Autors geschrieben hat:

Bunte Wälder – Vögel fliegen / Kinder lachen – Blumen sprießen / in Mühlau kann ich es genießen“

Wie alle Spaziergänge bringen auch die Mühlauer Erkundungen Frohsinn und Optimismus, manche verwenden den Stadtteil auch als Therapie, indem sie ihn regelmäßig abschreiten.


Christian Kössler: Von Weltliteratur, Fabriken und gezähmter Wildnis. Sechzehn Spaziergänge durch Mühlau.

Innsbruck: Wagner’sche 2025. 173 Seiten. EUR 14,95. Wagner-BN 2025100000093.

Christian Kössler, geb. 1975 in Innsbruck, lebt in Innsbruck.

Helmuth Schönauer 12/01/25



GEGENWARTSLITERATUR 3402

versvermessung

Lyrik wird gespeist aus einem Befinden, das als Ur-Ozean bezeichnet wird. Der Essayist Alexander Kluge vermutet von diesem Urzustand, dass er den Subjekten eine stabile Körpertemperatur vermittelt, die ungefähr bei 37 Grad liegt.

Rudolf Kraus rückt diesem poetischen Raum mit einer „Versvermessung“ auf den Leib. Dabei macht er sich die Fähigkeit von Lyrik zu Nutze, wonach diese gleichzeitig als Gesang, arithmetische Operation oder rhythmische Aktion auftreten kann.

Ein Blick auf die Gliederung dieser poetischen Masse lässt einen an einen „lyrischen Auszählreim“ denken:

- dreizehn Dreizeiler

- siebzehn Siebzehnsilber

- elf Elfsilber (Rukai, 3-5-3)

- fünf Fünfsilber, die Verknappung der Verknappung

- Suchbilder

- Silber

Armin Baumgartner stellt in seinem Nachwort drei Quellen vor, aus denen die Silben und Zeilen während der Vermessung sprudeln. Es sind dies Primzahlen, zu denen der Autor eine beinahe existentialistische Zuneigung pflegt, es sind dies die archaischen japanischen Formen der Reduktion, die sich vor allem in Haikus zeigen, und es ist schließlich die kühne Exotik eines H. C. Artmann, die eine Verbindung zwischen dem barocken Österreichischen und der fernöstlichen Koan-Kultur herstellt.

In einem Elfer-Gedicht beschreibt der Autor diese Vermessenheit: „mein schlichtes gedicht / ich weiß ihr glaubt es mir nicht / ist schlicht ein gedicht“ (11)

Selbst ein komplizierter Lebenslauf lässt sich nach dieser Methode des Eindampfens von Wortfeldern aufs kürzeste darstellen. „ich fühlte mich frei / als ich bad fischau verließ / bis mir brunn abging“ (14). Aus der biographischen Notiz über Rudolf Kraus ist zu entnehmen, dass sowohl Bad Fischau als auch Brunn wesentliche Stationen seines Werdegangs markieren.

An anderer Stelle werden persönliche Entwicklungen des lyrischen Helden mit allgemein gültigen Erfahrungen der Zeitgenossen verschränkt. „in den siebzigern / begann der bart zu wachsen / im ersten gedicht“ (29) […] „mir ist kalt / ach ich werde alt / ja steinalt“ (47)

Als Sicherungshaken im lyrischen Gelände sind stets Genre-spezifische Vermessungspunkte eingeschlagen. „kein / haiku ist / ich“ (63)

Und auch der obligate Vogel, der bekanntlich für die Zertifizierung von Gedichtbänden an geheimer Stelle eingesetzt werden soll, lässt sich bald ausfindig machen. „ein vogelkonzert / im duftenden bärlauchwald / ein specht sorgt für ruh“ (32)

Im hinteren Drittel huldigt die Lyrik dem visuellen Aspekt, indem die Suchbilder als rätselhafte Fotostrecke ausgelegt sind. Dabei ergeben die Bilder eine Story, die sich bei jeder Lektüre neu aufbaut. Aber auch die einzelnen Bilder sind als dramatische Screenshots lesbar, manchmal wirken sie wie Emoticons in schwarz-weiß.

- Enten im Wasser umkreisen einen Pflanzenstengel, der ihnen als frisch aufgestellter Maibaum dient.

- Ein unruhiges Ufer erodiert unter einem schweren Ast, der sich eben ins Wasser gelegt hat.

- Eine Windskulptur aus abgebrochenen Sensenblättern stellt sich auf und stürmt aus dem Bild heraus.

- Eine gereifte Person sitzt vor den Handgriffen eines Rollators frei auf einer Parkbank.

- Eine amorphe Metallplastik aus losen Dosen zitiert die Struktur eines Abfallhaufens.

In den abschließenden „silbern“ wird Lyrik noch einmal extrahiert, bis jenes konzentrierte Material vorliegt, das man in der Forensik als Quellmaterial für DNA-Recherche nutzt.

In den abschließenden Silbern sind nur mehr „epochale Sätze“ zugelassen: „epochal // früher war alles später / später war alles kaputt“ (97)

Manche Sätze haben das Zeug zu einem Gassenhauer oder Ohrwurm: „Wenn ich einmal / nicht mehr bin / ist’s auch nicht schlimm“ (98). Andere Zeilen aus der „Versvermessung“ bleiben auch nach Jahren intensiver Lektüre noch ein Rätsel. „so ein loch / bleibt stets ein rätsel / ist nie rund“ (54)


Rudolf Kraus: versvermessung. siebzehnsilber: senryu – haiku – dreizeiler elfsilber: rukai fünfsilber suchbilder silber. Fotos. Nachwort von Armin Baumgartner.

Wien: Verlagshaus Hernals 2024. 108 Seiten. EUR 23,90. ISBN 978-3-903442-62-7.

Rudolf Kraus, geb. 1961 in Bad Fischau, ist Schriftsteller und Bibliothekar in Wien.

Helmuth Schönauer 23/01/25



TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 2425

Schaukler

In der Prokulus-Kirche bei Naturns sitzt eine Figur auf einem gemalten Seil und schaukelt. Sie macht das so kühn und jenseits aller physikalischen Gepflogenheiten, dass die Menschen ihre Reise abbrechen und nachschauen, was es mit diesem Fresko aus alter Zeit auf sich hat. Ist es überhaupt Kunst, was es da zu bestaunen gilt? Ein Kind sagt dazu verblüffend klar: Es ist ein Engel!

Selma Mahlknecht setzt mit ihrem Roman „Schaukler“ ein aufregendes Zeichen, wie man als kleiner Punkt auf der irdischen Weltkarte mit der großen Geschichte und dem Lauf der Welt umgehen könnte. Ihr Roman zelebriert hundert Jahre frische Entdeckung der mittelalterlichen Fresken rund um den Schaukler in Naturns 1923.

Dabei verwendet sie eine raffiniert klare Dramaturgie des Erzählens. Elemente aus dem Fresko werden zu Emblemen extrahiert und liefern die vier Kapitel der letzten hundert Jahre im Vinschgau.

Die Herde“ (1923-1946) erzählt vom gezwungenen oder freiwilligen Mitrennen im Faschismus, der auf dem Herdentrieb aufbaut.

Das Heilige“ (1947-1975) widmet sich einer geläuterten politischen Lebensauffassung, wonach gewisse Tugenden des Religiösen auch im profanen Lebensbereich Erfüllung bringen könnten.

Aller Augen“ (1976-1999) zeigt in unverhüllter Manier, wie Prosperität und ungenierter Weltgeist die Lebensqualität letztlich ausdünnen.

Die dunkle Schwelle“ (2000-2023) warnt davor, die allgegenwärtigen Bedrohungen zu vertuschen und zu verdrängen.

Diese vier Fresken-Kapitel sind einerseits als Bildbeschreibung den Zeitabschnitten vorangestellt, andererseits mit einer Chronik der Ereignisse im Nachspann unterlegt.

Dieses Erzählgerüst kommt auch im sogenannten Figuren-Set zum Vorschein, worin auf einem Tableau die einzelnen Personen des Romans, ihre Berufe, Höfe und sozialen Verflechtungen erläutert sind.

Ein echter Roman kann natürlich auch emotional mit dem Bauch gelesen werden, von vorne nach hinten, eine wundersame Begebenheit nach der anderen.

Für diese Lesart hat die Autorin den Helden Hans „erfunden“, er wird als lediges Kind in das teilweise verfilzte Sozialgeflecht hineingeboren. Als ob das nicht genug wäre, um als Außenseiter die Außenperspektive zu bedienen, verunfallt er noch bei einer Rangelei unter Kindern und kann nur durch besondere Geduld und Eigeninitiative zu einer anerkannten Persönlichkeit werden.

Hans begegnet einem Malermeister, der den ganzen Landstrich mit Sprüchen und Lüftlmalereien bereichert. Mit jedem Anrühren von Farbe entsteht jener Konflikt, der dem Schaukler innewohnt. Ist es eine pragmatische Nachricht? Ist es himmlische Kunst?

Die Botschaften ändern sich laufend. Allein die Abfolge von Faschismus, Option, Nazitum, Paket, Kriegerdenkmal, Fremdenverkehr und Overtourismus braucht jeden Tag einen neuen Farbkübel, um die Botschaft irgendwo an die Wand zu malen.

Letztlich ist die Geschichte eines Landes ein Fresko, das ständig übermalt und freigelegt werden muss.

Im Roman sind die Ereignisse von hundert Jahren „ausgemalt“ in Dialogen, Schicksalsschlägen, Glücksverbindungen und Unfalltragödien. Im Alltag lässt sich nur schwer jene Leichtigkeit unterbringen, die der Schaukler bei seinem Ritt durch das Fresko auslöst.

Als etwa ein Kriegerdenkmal gestaltet werden soll, brechen alle diese Verquickungen jäh on der Öffentlichkeit auf. Und auch hier hilft nur der Vierer-Schritt des Freskos: Die Herde mit heiligen Ideen zu unterwandern, bis diese mit offenen Augen vor dem dunklen Abgrund Halt macht.

Die Zugänge zu diesem „historischen“ Roman über das unscheinbare Kirchlein bei Naturns sind mannigfaltig, wie die Bewegungen des Schauklers, von dem wir ja auch nicht wissen, wie oft er schon von einem Endpunkt der Bahn bis zum anderen gependelt ist.

Und jedes Mal, wenn sich die Helden des Romans zu einer neuen Runde zusammenfinden, um zu heiraten, zu emigrieren, heimzukehren oder zu sterben, nickt die Figur aus dem himmlischen Fresko. Beim Lesen und Deuten der Zusammenhänge kann man sich letztlich sogar zu der Fügung hinreißen lassen: Der Schaukler nimmt uns samt unserem Schicksal auf die Schaukel!


Selma Mahlknecht: Schaukler. Roman.

Bozen: Edition Raetia 2025. 444 Seiten. EUR 28,-. ISBN 978-88-7283-942-3.

Selma Mahlknecht, geb. 1979 in Meran, lebt in Zernez.

Helmuth Schönauer 14/02/25



TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 2429

Blutbrot

Wie ein Fisch ständig Wasser im Mund hat, um zu überleben, hat der Mensch am Lande Brot im Mund, und wenn um das tägliche Brot gekämpft wird, entsteht das Blutbrot.

Miriam Unterthiner stellt mit dem Genre Theatertext beiden Publikumsschichten eine aufrüttelnde Story in Aussicht. Einmal sind es die Theater-Affinen, die vielleicht in den Genuss eines Releases kommen, zum anderen sind es Lesende, die sich die Geschichte selbst ausmalen können. Der Plot handelt von der „Rattenlinie“, als Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg quer durch Südtirol unterwegs waren, teils geschützt von den Bodenständigen, um wie Mengele das Endziel Argentinien zu erreichen.

Der Theatertext stellt in einem pathetischen Vorwort die Grundzüge des Stückes vor. Letzte Instanz ist das Publikum, das sich die Bausteine der Geschichte selbst in das eigene Geschichtsbild einfügen muss. Die Autorin bittet bloß um einen Chor, der im Sinne des griechischen Theaters die Wahrheit ausspricht. Aus Gründen der Einsparung wird dieser Chor auf eine Person beschränkt, mehr Geld ist im gegenwärtigen Theater nicht drin.

Die Moral von der Geschichte fußt auf dem Buch „kontaminierte Landschaften“ des kürzlich verstorbenen Martin Pollack. Dabei geht es um die Überlegung, dass Landschaften nicht nur Überwuchs von geologischen Morphologien, Erzen und Unterwasserläufen sind, sondern auch so etwas wie eine kollektive Seele der darauf Wohnenden beherbergen oder verschleiern. Nicht umsonst liegt das Grauen der Geschichte oft unter den lieblichsten Landschaften verborgen.

Das Stück handelt die Story der durchziehenden Nazitruppe mit fünf Kollektiv-Stimmen ab: Das Dorf / das Brot / das Schweigen / die Landschaft / die unablässig brotessende Autorin.

Das Dorf leistet kollektiv Fluchthilfe, heißt es bei der Aufarbeitung der Geschichte. Diese wird aber von einem anderen Kollektiv zum Schweigen gebracht. Über allem wuchert fallweise die Landschaft und weiß von nichts. Erst wenn man zu graben beginnt, kommen die grauenhaften Dinge zum Vorschein, die Gebeine des KZ-Arztes Mengele zum Beispiel, die man nie mehr zum Verschwinden bringen kann, wenn sie einmal ausgegraben sind.

Das Brot wird als höchstes Gut vorgestellt, es ist Überlebensmittel und Lebenssinn in einem. Da es von fruchtbarem Boden abhängig ist, wird um diesen Boden mit allerhand Ideologien gerungen, Blut und Boden kommen sich in einer Inschrift sehr nahe.

Der Boden ist gefährdet, wenn fremde Menschen darüber stapfen und ihn zerdrücken. Die Wirtschaft braucht diesen Boden, und sei es, dass er für Touristen genutzt wird. Manchmal ist das Dorf so voller Gäste, dass man den Boden unter seinen Füßen nicht mehr sieht.

Mitten unter das Brot mischt sich das Böse, wenn es als Mutterkorn vermahlen wird und später als Gift im Körper zu wirken beginnt.

In das Kollektiv der Stimmen sind konkrete „Brot-Namen“ eingestreut. Einmal ist Max Brod, der Freund Franz Kafkas, genannt, der einen Brot-Aufruf für das Erzgebirge verfasst hat, um dort den Hunger zu lindern. Das Schmuggeln von Brot soll hier dem Guten dienen.

Aber in den Gebirgen lässt sich auch das Böse schmuggeln, wenn der Preis stimmt. Adolf Eichmann, Josef Mengele und Gerhard Bast sind als jene Protagonisten des Bösen angeführt, die über den Brenner müssen.

Der Brenner wird wieder einmal zu einer Wasserscheide der Entscheidungen. „Der Brenner wird nicht passiert, der Brenner ist zum Anhalten gedacht. Er ist ein Ort des Anhaltens, des Innehaltens, des Zusammenhaltens.“ (68)

Verzeihen ist die beste Rache! - Im letzten Akt sind alle zusammengekommen um eine Art Resümee zu ziehen. „Die Vergangenheit schleicht sich in unsere Körper, dringt in uns ein, wird Teil von uns, vom Magen aus. Unsere Körper sind kein Reservoir der Vergangenheit, sie sind Körper, unsere Körper.“ (59)

Aus Zitaten haben Historiker erste Bilder gebacken wie Brot, das jetzt gegessen wird. Die fiktionale Bühnen-Autorin, die ständig Brot kaut, stellt eine Analogie her zwischen dem allgemeinen Geschichtskörper und dem physischen Körper des Individuums, das ständig mit Nahrung versorgt werden muss. „Brot“ wird plötzlich zu einem Begriff, der für alle Lebenslagen passt. Hartes Brot, das Brot der frühen Jahre, des Brot als Kurzerzählung bei Wolfgang Borchert.

Miriam Unterthiner „erzählt“ in der verdichteten Sprache einer theatralischen Collage, indem sie historische, touristische, folkloristische und literarische Textspuren zu jenem Blutbrot vermischt, das uns die Geschichte als mit Ideologie durchtränkte Nahrung gebacken hat. Und über allem liegt diese kontaminierte Landschaft, vor der uns Martin Pollack warnt.


Miriam Unterthiner: Blutbrot. Theatertext.

Innsbruck: Edition Laurin 2025. 72 Seiten. EUR 18,-. ISBN 978-3-903539-50-1.

Miriam Unterthiner, geb. 1994 in Brixen, lebt in Wien.

Helmuth Schönauer 10/02/25