Österreichische Literatur seit 1945

Gute Literaturgeschichten sind wie gute Stadtpläne. Man findet darin auf Anhieb die Denkmäler, Verkehrslinien, Umsteigstationen und zu meidenden Abbruchgebiete. Klaus Zeyringer hat im Hauptteil kurz vor der Jahrundertwende die österreichische Literatur der letzten fünfzig Jahre auf den Untersuchungstisch gelegt und eine Gesundenuntersuchung durchgeführt. Denn Klaus Zeyringer geht von zwei Voraussetzungen aus: es gibt eine österreichische Literatur und sie ist pumperlgsund und quietschlebendig. Den Befund faßt der Autor in "Sieben Thesen und eine" zusammen. (55ff) Die österreichische Literatur wird glücklicherweise nicht nur an Autoren festgemacht, die bekanntlich alle einmal als Namensschilder für Promenaden enden, sondern die Literatur wird in ihrer Verankerung in der Öffentlichkeit dokumentiert. Welche Interessensverbände haben welche Interessen im Kopf? Unter welchen Tarnkappen erscheint jeweils die Restauration? Welche Segmente des Lebens werden von der Literatur gestaltet oder in Frage gestellt? Bei der Beantwortung dieser Fragen tauchen selbstverständlich immer wieder die gängigen Autoren als Hauptdarsteller auf, aber in Zeyringers Untersuchung wird auch dem Prospekt, den Souffleuren, Chargen und Nebendarstellern großer Wert beigemessen. Nach Zeyringer kann man sich ruhig auf Österreich-Bilder einlassen, aber man sollte als Leser immer im Auge behalten, daß es nur vorläufige Bilder sind, die von sich aus vorüberziehen, damit der scheinbar fixe Standpunkt des Leser immer wieder relativiert wird. Völlig befreit vom Starrkrampf-Patriotismus hat Zeyringer einen wunderbaren, tragfähigen Ton bei der Beschreibung der österreichischen Literatur gefunden. Es ist der Ton des Optimisten, der überhaupt keine Angst hat, das Glück mit anderen zu teilen. Und die österreichische Literatur ist ein Glück! Für die Neuauflage hat der Autor das Buch um ein Kapitel mit Anmerkungen zu den Jahren 1998 bis 2001 erweitert.

Klaus Zeyringer: Österreichische Literatur seit 1945. Überblicke, Einschnitte, Wegmarken. Aktualisierte Neuauflage. Innsbruck: Haymon 2001. 656 Seiten. 498,- ATS. [36,- EUR] ISBN 3-85218-370-0

Klaus Zeyringer, geb. 1953 in Graz, ist Univ.-Prof. in Angers.

Helmuth Schönauer 12/10/01