GEGENWARTSLITERATUR 1207

Das Geld, die Arbeit, die Angst, das Glück

Ein guter Schweizer Autor kann die guten Schweizer Eigenschaften locker in einem kauzigen Titel zusammenfassen: Geld, Arbeit, Angst, Glück, jeweils noch mit dem ganz-ganz bestimmten Artikel versehen, machen tatsächlich alles aus, wovon diese Welt handelt.

Urs Widmers behandelt in der titelstiftenden Rede den Zusammenhang von Geld und Kunst, Demokratie und Arbeit. Die Wirtschaft habe nur den einen Sinn, Geld anzuhäufen, aber weil die Demokratie ideale Bedingungen dafür zur Verfügung stellt, gebe sich die Wirtschaft ab und zu ein wenig demokratisch, lautet die Kernaussage seiner 2000 im Zürcher Schauspielhaus gehaltenen Rede.

Vom theatralischen Entwurf geht es nahtlos über in die Kleinarbeit der Glosse. Vor allem Zürcher Holprigkeiten kommen hier zum Vorschein, die fetzreiche Stadt Zürich stößt immer wieder an das ärmliche Gehirn mancher ihrer Einwohner. Ganz im Stile Eduard Mörikes wird das der Frühling genauso besungen wie es im Stile Robert Walsers einen Aufsatz über die Hysteriker in Wir-Form gibt.

Den Hauptteil machen umfangreiche Arbeiten über Joseph Conrad und Gottfried Keller aus. Höhepunkt ist auf jeden Fall eine Untersuchung über das Arschlochtum der Helden Vladimir Nabokovs.

Im Abgesang vom Kuhschweizer als Sauschwaben geht es um aggressive und ungeduldige Schimpfwörter.

Letztlich ist es der lange helle Atem, der die Beobachtungen trägt. Jahrelang wach zu sein und Themen zu erkennen, die vom Alltag verschüttet sind, das macht Urs Widmer aus. Natürlich setzt der eine oder andere Dachziegel des Gedankengebäudes schon den Moos der Zeit an, das ist der Fluch der Glossensammlungen, aber insgesamt gibt diese wundersame Abhandlung über die vier Kardinaltugenden der Schweizer einen schönen Zustandsbericht über das universal-provinzielle Leben am Kontinent zur Jahrtausendwende.

Urs Widmer: Das Geld, die Arbeit, die Angst, das Glück.

Zürich: Diogenes 2002. 270 Seiten. € 19,90.

ISBN 3-257-06331-8

Urs Widmer, geb. 1938 in Basel, lebt in Zürick.

Helmuth Schönauer 14/11/02