literarisches Tool 2002-07

Kathedralen für Giga-Literatur

Innsbruck ist eine raffiniert durchschnittliche Stadt, in der alle Strömungen physischer und kultureller Art in angemessener Weise auftreten. Üblicherweise haben Strömungen eine Dauer von zehn Jahren, wenn man also in dieser Zeit etwas "kulturell noch dertuat", liegt man elegant im Trend.

Und nach dem Boom literarischer Kleinverlage und Kleinzeitungen lagen eben auch Literaturhäuser eine Zeit lang im Trend. Zeitgemäß gegründet ist das Literaturhaus am Inn dieser Tage fünf Jahre alt geworden und allerhand Literaturfachleute haben dazu ein paar mehr oder weniger richtige Gedanken geäußert.

Selbstverständlich gehört es für Betreiber-, Geschäftsführer- oder Installationspersonen zum Ritual einer Bilanz, daß man sich den Ausbau der Einrichtung wünscht.

Und selbstverstänlich hat sich auch eine Leiterin gewünscht, das Innsbrucker Literaturhaus möge ausgebaut werden, damit man größere Veranstaltungen darin abhalten kann.

Als netter Jubiläumswunsch geht das durch, in der Realität aber bitte nein! Das Literaturhaus braucht nicht ausgebaut zu werden!

Seit Parkinson wissen wir, daß alle Einrichtungen nur eines im Sinn haben - in Möbel, Bauten und Posten zu wachsen. Und das Literaturhaus ist genau dort, wo ihm Skeptiker bei seiner Gründung den Platz angekündigt haben: auf dem germanistischen Leibstuhl!

Mit Ausnahme der Datenbank zur Tiroler Gegenwartsliteratur, die in bravouröser Weise vorangetrieben und betreut wird, sind nämlich so gut wie alle Aktivitäten des Literaturhauses ein germanistischer Selbst-Akt vor Selbst-Staffelei.

Man mache die Gegenprobe und lasse mit verbundenen Augen das Dargebotene einwirken: reine Vorlesung, germanistische Scheindiskussionen um Nuancen des unbefriedigten Präsens und totale Realitätsferne.

Gewiß, nach dem Realitätsbegriff der Germanistik ist alles Realität, und im Notfall ist eben die ausgeblendete Realität die echte.

Also dieses Programm bedarf keines eigenen Literaturhauses, es sollte vom germanistischen Institut abgewickelt werden. Das Literaturhaus erweist sich als Second-Hand-Label, mit dem man zusätzliche Gelder lukriert und der übrigen Literatur abzieht.

Und noch ein anderer Punkt spricht gegen einen Ausbau des Literaturhauses. Bekanntlich erscheint Gott nicht in jenem Ausmaß, in dem seine Häuser architektonisch angelegt sind. Ein großes Gotteshaus hat also keine größere Gotteserscheinung zur Folge.

Da es in der Literatur oft sehr göttlich zugeht, ist dieser Vergleich fast zwingend. In einem großen Literaturhaus kommt die Liteartur eben nicht größer zum Vorschein. Im Gegenteil, gute Literatur meidet alle Giga-Verlage, Ansammlungen, und Mega-Events. Man sollte sich ab und zu an das heftige Motto des Poeten und Heimatforschers Johannes Trojer halten: "Unsere Aufgabe ist es, nicht hin zu gehen!"

Der Trend geht ohnehin schon längst weg von den Literaturhäusern. Diese waren für eine bestimmte Zeit ein passabler Versuch, die Literatur zu vatikanisieren, das heißt, ihr ein jeweiliges Zentrum des literarischen Weltgeistes zu verschaffen. Aus diesen Zentren, die ja mittlerweile nur noch der Unterfütterung von Preisritualen und Rankings dienen, ist die kluge Literatur schön längst abgehauen.

Die Literatur ist momentan im Internet, in der Trash-Szenerie, im Fiktions-Design. Wenn die Innsbrucker sie dort eines Tages gefunden haben werden, wird sie schon wieder wo anders sein. Ausbauen ist also zwecklos!

Helmuth Schönauer 12/06/02