literarisches Tool 2002-05

Energiefresser

Wenn 50-jährige Referenten unter freudiger Anwesenheit von 60-jährigen Autorinnen ein 70-jähriges Auditorium in Gefühlswallung bringen, dann ist meist eine Tagung über Jugendliteratur im Gange. In wohl kaum einer Lebenssparte reden zeitlich so abgerückte Personen höchsten Reifegrades so besonnen über ein jugendliches Thema, wie im Diskurs zur Jugendliteratur. (Am ehesten sind solche Reifepolaritäten noch in der Sexualkunde anzutreffen, wiewohl hier die Jugend oft mindestens so reif ist wie die Senioren, denn reif heißt in der Sexualkunde bekanntlich abstinent.)

Ein schleichender Hallodri-Satz, der alle Anwesenden immer verzückt, ist jener, wonach zuviel ferngesehen und zuwenig gelesen wird. Also dieser Satz ist einfach falsch und alt wie das Publikum, das ihn über sich ergehen läßt. Und dieser Satz wird um nichts besser, wenn er der heutigen Jugend unter den Fernsehsessel geschoben wird.

Wahr ist vielmehr, daß es eine visuelle und eine textuelle Methode gibt, Stoff zu absorbieren. Der Stoff hat selbst im Zeitalter von Massakern an Lehrern keine Moral, daher ist es müßig, über Sendeverbote, Internetfilter und andere Eingriffe zu diskutieren. Alles, was es gibt, muß gesendet und angeboten werden. Die Frage ist höchstens, ob es didaktische und sonstige Handreichungen hiefür geben soll. Denn einmal ehrlich gesagt, ein Volk, das permanent gewisse kleine oder knallige Zeitungen liest, müßte ja mindestens so an der Hand von Pädagogen durchs Leben gelotst werden wie jugendliche Internet-User, die angeblich von Guns und Pornos bedroht werden.

Hat in diesem Zusammenhang schon einmal jemand ausgesprochen, daß nichts so gefährlich ist wie Geld und sein permanent geforderter Erwerb? Das heißt, Gewalt und Pornos sind ja nur Vorhütchen jenes großen Keils, der in Gestalt von Konsum ständig durch unsere Psychen getrieben wird.

Nein, Jugendliteratur ist genauso sinnvoll wie die Trasse einer U-Bahn, wenn sie benützt wird, manche fahren lieber mit dem Bike, andere mit den Blades, aber eine Jugend zu moralisch zu definieren, ob sie mehr dieses oder jenes Verkehrsmittel benützt, wäre auch sehr senil.

Die einzige Unterscheidung, die Sinn macht, ist jene nach Energie fressend und Energie spendend. Also es gibt Transfertechniken, die spenden Energie und andere saugen sie förmlich samt den Benutzern aus dem Raum hinaus. Als Paradebeispiel für einen Energie fressenden Vorgang mag jener fernseh-fixierte Körper dienen, der vor dem Screen aufgebahrt liegt und permanent an Energie verliert, so daß er diese durch Snacks nachschütten muß.

Die Art des Energieverlustes ist bedauerlich, aber niemals das Programm. Und ein Harry-Potter-Konsument, der sich seine Trüffel während des Umblätterns in die Kiemen schiebt, ist genau so bedauerlich wie ein sonstiger Konsument.

Vielleicht sollte man einmal eine Tagung über Energiefresser abführen und nicht über Jugendliteratur. Aber eine Tagung ist ja insgesamt immer ein Energiefresser, bei dem letztlich nur die Bodies herum sitzen und die Schuld auf das Programm schieben, wenn mittendrin die Energie futsch ist.

Helmuth Schönauer 06/05/02