literarisches Tool 2002-04

Quanten- und Anten-Forscher

Wenn sich über den Rundfunk zwei Quantenphysiker Formeln vorlesen, und es ist nicht gerade Fasching, wird man sich als Zuhörer fragen, warum wird das gesendet? Meist kommt dann in der Moderation eine recht einfache Erklärung: - Weil einer der beiden Wort-Anten Geburtstag hat oder eine gelungene Operation oder einen Parkplatz gefunden hat. Jedenfalls besteht der Sinn der Wortmeldung in einem trivialen Anlaß, und als Zuhörer nimmt man dankbar diesen Sende-Anlaß zum Anlaß, um etwas Unverständliches zu hören.

Aber auch die hohe Literatur nimmt es durchaus mit der Formelsprache der Physiker auf und hat dadurch auch ihren Sinn der höheren Art.

Dieser Tage etwa hatte ein Metaphysik-Professor der Germanistik am Innsbrucker Brennerarchiv Geburtstag und bekam dafür ein Buch, eine Abendveranstaltung und einen akustischen Kulturbeitrag im Regionalprogramm. Soweit so gut.

Die gesendeten Wortmeldungen des Metaphysikers, seines Laudators und des Moderators bestanden in einem Hin- und Hergeplänkel von gigantischen Leerformeln. Also das könnte man auch noch hinnehmen, aber es gibt in der Literatur das Tool, wonach ein akustischer Satz anders ist als ein visueller. Deshalb ist es ein großer Irrtum zu glauben, man könne etwas akustisch senden, nur weil es irgendwo auf einem Blatt steht.

Alle Wortmeldungen kamen nämlich völlig unverständlich vom Blatt, und der Höhepunkt war sicher eine Schrillsopranistin mit Nebenfach Archivarin, die in einem Anfall von akustischem Orgasmus berichtete, wie ein Herr von Ficker einem Herrn Metaphysik mit einem Rundstempel schreibt, daß die Rundstempel eingetroffen sind.

Das ist zumindest für einen unvorbereiteten Hörer ein Faschingsbeitrag, der tief im Gehör sitzen bleibt.

Also, akustische Sätze akustisch senden, schriftliche Sätze drucken oder mailen, so einfach wäre es.

Aber in der Germanistik ist nichts einfach, selbst ein trivialer Geburtstag eines Herrn kann da noch zu komplizierten Fügungen Anlaß geben, wenn die Ideologie stimmt. Und die Ideologie des Brennerarchivs scheint zumindest in diesen Hörausschnitten darin zu bestehen, eine theologische Unterkanzlei auf der Germanistik zu installieren, mit allem, was eben zu einer theologischen Fakultät gehört. Also Transzendenz pur, Metaphysik bis zum Sargnagel und Verweigerung der Gegenwart.

Kein einziger Tiroler Schriftsteller hat eigentlich mit Theologie was am Hut, mit Ausnahme vielleicht des Kitzbühler Religionsinspektors, der in seiner Bearbeitung von "Warten auf Godot" tatsächlich den Herrn Je kommen läßt, um alle zu erlösen. Dennoch aber wird da in einer Verweigerung der Gegenwart in die Vergangenheit zurückgeforscht, daß wirklich schade ist ums Geld. Denn man könnte doch auch etwas Sinnvolles aus der Gegenwartsliteratur erforschen, das wäre ja auch ein literarisches Tool. Und alle könnten beschäftigt bleiben, man müßte auch niemanden kündigen, nur weil er etwas näher an der literarischen Realität der Gegenwart dran wäre.

Helmuth Schönauer 17/03/02