Tool 2001-11

Post-Bacherscher Provinzialismus

Die größte Leistung der Menschheit besteht vermutlich in der Französischen Revolution, wo so etwas wie die Gewaltenteilung eingeführt worden ist. Vereinfacht gesagt handelt sich um die Idee, daß jemand, der das Gesetz macht, es nicht gleich selbst exekutieren soll. Also jemand, der die Watsche befiehlt, soll sie nicht selber geben, sondern den entsprechend pädagogisch geschulten Watschenmann dafür anstellen. Kein Wunder, daß die Tiroler in ihrem sogenannten Freiheitskrieg gegen solche Ideen Sturm gelaufen sind und heute noch stolz und in dummen Kostümen durch die Innsbrucker Altstadt rennen, um diesen Stoff als Andreas-Hofer-Saga zu verfilmen.

Die Gewaltenteilung ist aber nicht nur in einer demokratisch organisierten Gesellschaft das Um und Auf, auch die Kultur, die ja der Überbau der Demokratie ist, braucht eine saubere Trennung zwischen Kulturproduzenten und Kulturjournalisten. Also jemand, der selbst Kultur macht, soll nicht auch noch exklusiv davon berichten, auch wenn nach Dieter Ronte die Kunstvermittlung selbst eine Kunst ist.

In letzter Zeit hat sich beim ORF-Landesstudio Tirol etwas eingeschlichen, was man den Post-Bacherschen Provinzialismus nennen könnte. Die Idee der ersten Ära des damaligen ORF-Generalintendanten war ein Amalgam aus authentischer Kulturberichterstattung und adäquater Kulturproduktion in den Landesstudios. Die sogenannten Peichlschen Raumschiffe entsprachen architektonisch dem Konzept eines überregionalen Funkstrahles mit regionaler Verwirklichung.

Mittlerweile ist die Kulturberichterstattung im Landesstudio Tirol so gut wie eingestellt worden. Kultur wird bereits als so peripher empfunden, daß man die monatliche Kultursendung "tipp" nicht moderieren kann, weil keine kulturelle Moderatorenpersönlichkeit zur Verfügung steht. Während sonst jeder Kiachl seinen Kiachel kriegt und jede Truhe ihr Stimmscharnier, moderiert in dieser provinziellen Kultursendung ein unpäßlicher Schauspieler zwischen seiner Maus und dem Petzi, dem er seine Maus-Aktionen an einem imaginären Bildschirm erklärt. Das Publikum wird in kulturellen Belangen vollends für doof gehalten, was darauf schließen läßt, daß man es auch sonst allgemein als doof einstuft, was ja auch die Treffsicherheit des nicht-ktulturellen Programms erklären würde.

Schlimmer als dieses ästhetische Desaster, das höchstens hilft, Provinz negativ zu definieren, ist die Aufspaltung der Regionalkultur in zwei Ereignisströme. Einerseits wird alles "verfelixt", indem in jeder Schlucht ein Felix Mitterer aufgeführt, verkitscht und verfilmt wird, andererseits wird die Kultur "ver-kulturhaust", indem alles, was gesendet werden will, ins Kulturhaus pilgern muß.

Das Landesstudio Tirol hat sich zu einem Kulturhaus erklärt, mit negativen Folgen für die Kultur. Die vier negativen Folgen dabei:

- Die Gewaltenteilung ist aufgehoben, zwischen Berichterstattung und Selbstdarstellung gibt es keinen Unterschied mehr.

- Die Kultur wird "eventisiert", ein Kiachl-Essen kann genauso einen kulturellen Happen abgeben wie ein Essay zur Globalisierung, alles kann Kultur sein, weil ja sowieso alles Kultur und Wurst in einem ist.

- Die Kompetenz des Landesstudios in den Segmenten Hörspiel, Video, Sehen und Hören wird völlig aufgegeben zu Gunsten eines Allerweltshappenings mit Sauf- und Freßcharakter. (Kiachl!)

- Die Konkurrenz zu den Kulturstätten mit kulturseriösem Anspruch (Literaturhäuser, Theater) treibt diese in den Ruin, weil die Zugpferde mit den übliche Eintrittspreisen ins Kulturhaus abgeworben werden, die übrigen Künstler hauptsächlich in Naturalien (Sendezeit) gezahlt werden und das Kulturereignis insgesamt verflacht und auf die monochrome Sendeleiste gepreßt wird.

Der öffentlich rechtliche Rundfunk hat über die Kultur zu berichten, nicht aber diese öffentlich rechtlich ausgewogen zu machen. Die Aktion "Kulturhaus" des Landesstudios Tirol ist ein Desaster, das über den provinziellen Charakter weit hinausgeht, es ist letztlich eine Vernichtung von Kultur und Demokratie.

Helmuth Schönauer 30/10/01