Taschner

GEGENWARTSLITERATUR 1233

Musil, Gödel, Wittgenstein und das Unendliche

In den ‘Wiener Vorlesungen’ soll die Idee aufgegriffen werden, wonach in einer Weltstadt ab und zu der Weltgeist an Land steigen soll, um aktuelle Themen der Zeit zu artikulieren und in einem Ideengefäß zu akkumulieren.

Der Beitrag des Mathematikers Rudolf Taschner wurde am 7. Mai 2002 im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek vorgetragen, weshalb auch der Besuch zweier Protagonisten in der Nationalbibliothek eine fulminante Einleitung darstellt. Immerhin geht es bei jener oft zitierten Stelle aus Robert Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" um eine Bibliographie der Bibliographie der Bibliographie.

Damit ist eigentlich das Thema des Unendlichen bestens umrissen.

Obwohl nicht im Titel vorgesehen, würdigt der Vortragende in der Folge Georg Cantor als Erfinder der Mengenlehre. Dieser kriegte über den Umweg der Zahl Pi so ziemlich alles in den Griff und konnte das Unendliche für Mathematiker gut beschreiben, aber erst die Kontinuumshypothese Gödels brachte eine gewisse Ruhe in die Aufregung um das Unendliche. "Bestimmte Sachverhalte sind mit den Mitteln der Theorie nicht zu verifizieren, obwohl sie der Theorie nicht widersprechen." (34)

Etwas Ähnliches sagt ja Franz Kafka in seiner Türhüterparabel, wonach jedem irgendwo im Unendlichen sein Eingang zur Erlösung zusteht.

Abgerundet wird der Diskurs ums Unendliche mit einem Ritt durch die Biographie Ludwig Wittgensteins, wobei vor allem dessen Gewalttätigkeit gegenüber seinen untergebenen Volksschülern besticht. Wittgenstein sagt letztlich nichts anderes, als daß sich nichts sagen läßt, steigt aus der Philosophie aus und quält Kinder mit einem selbst erfundenen Wörterbuch und Schlägen.

Interessant am Vortrag ist die Tatsache, daß Theorien für sich alleine genommen offensichtlich nicht viel hergeben für ein Referat und nur einen Sinn machen, wenn sie mit biographischem Fleisch unterfüttert werden.

So erzählt Taschner ausführlich von den Schrullen Wittgensteins und Gödels, wahrscheinlich, um das Urwienerische an ihnen hervorzustreichen und für einen gewissen Unterhaltungswert in den Prunkräumen zu sorgen.

Ein leiser Hauch von Akademismus schleicht durch die Prunkräume, und das Referat in seinen Ausholungen auf Paulus und andere antike Philosophen läßt die Frage aufkeimen, was das für die Zukunft soll, außer daß wir belesene Mathematiker haben.

Rudolf Taschner: Musil, Gödel, Wittgenstein und das Unendliche.

Wien: Picus 2002. (= Wiener Vorlesungen Bd. 87). 54 Seiten. € 7,90.

ISBN 3-85452-387-4

Rudolf Taschner, geb. 1953, lehrt Mathematik an der TU Wien.

Helmuth Schönauer 29/12/02