TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 619

Schattentraum

Im Genre Befindlichkeitsroman gibt es letztlich nur zwei Auswege: Umschwenken in Ironie oder Verzischen im Weltall der Gefühle.

Bernd Schuchter hat mit seiner Erstveröffentlichung den Weg in die Ironie locker geschafft. Seine Protagonisten leiden zwar unendlich und triefen vor Betroffenheit, aber diese dick aufgetragene Erzählcreme ist offenbar notwendig, um die Erlebnishaut der Protagonisten vor der intensiven Gefühlseinstrahlung zu schützen.

Eine erzähltechnisch wichtige Botschaft steht bereits am Umschlag, wenn es scheinbar umständlich heißt: "Das Buch Schattentraum stellt seine Erstveröffentlichung dar, mit der er [der Autor] seine schriftstellerische Arbeit dem Publikum zugänglich machen will." Was auf den ersten Blick wie ein semantischer Kreisverkehr aussieht, ist bereits ein Vorgeschmack auf die Erzählung selbst. Denn das Selbstverständliche wird als die unerhörte Begebenheit ausgewiesen und das Logische ad absurdum geführt, indem es sich als Denkunfall der Gefühle entlarvt.

Kurzum, es geht um die Romantik und die Unmöglichkeit, diese in einem unromantischen Körpergehäuse zu ertragen.

Das herausragendste Wort heißt befindlich.

"mit meiner Befindlichkeit stand es nicht zum Besten" (39); "ansonsten sind auf der alten, halbmorschen Tischplatte nur diese Manuskripte, die ich an dich schreibe, holde Schöne, Engel meiner Träume, befindlich" (13); "so war ich befindlich, als du mich verließt". (8) Dieses auf alt getrimmte Beschreibungsmodell erweist sich als gute Leerstelle, in die das Unbeschreibliche gegossen wird. Die Befindlichkeit besteht letztlich aus einem Loch, in dem sich alles befinden kann.

Und genau darum geht es. Denn der Held leidet an diesem Loch, er ist in I. (offensichtlich Innsbruck) im Jahr 18.. (offensichtlich 19. Jahrhundert) zu Untermiete und entdeckt ein Tagebuch des verflossenen Ehemannes seiner Zimmervermieterin. Die Vermieterin hat einen großen Zettel in das Buch gelegt, daß sie vor Schmerz nicht lesen wird, und der Untermieter liest das jetzt an ihrer statt.

Die Geschichte des verflossenen Ehemannes besteht aus Traumsequenzen ins Reich der Werg, aus einem Feldzug, bei dem er sich offensichtlich ein Leiden geholt hat, und aus Materie der Transzendenz, denn der Text des Tagebuches springt auf den Lesenden über und bringt ihm letztlich den Tod in Gestalt einer eitrigen Hüftwunde.

Die aus Zeit und Raum abgeschotteten Erlebnisse entwickeln einen ziemlichen Gefühlsspeed der Einsamkeit. Dazu tragen Seufzer, aus der Hüfte gedichtete Klein-Oden (Kleinodien) und alt abgebeizte Wörter bei.

So wirkt es auf den ersten Blick irritierend, wenn in einem Text mit dem Erfahrungsschatz des 19. Jahrhunderts von einem Getriebe die Rede ist, das sich schneller schalten läßt. (21) Aber da es ja der Wein ist, der das Getriebe des Inneren schaltet, wird dem Begriff aus der Motorwelt eben doch ein auf Ursprünglichkeit getrimmter Sinn zugrunde gelegt.

Zwei raffinierte Abkürzungen gliedern den Text in fast schon inkunabler Weise. "W.f.f." heißt "wieder fortfahrend" und ist als Pausezeichen zu lesen, "B.d.v.E" heißt "Brief des verflossenen Ehemanns" und kennzeichnet einen Text im Text.

Bernd Schuchters Erzählung ist eine wunderbare Hommage an die Romantik, in voller Ironie werden Epoche, Gefühlszustand der Protagonisten und Rezeption mit manieristischen Gesten zu einem Konglomerat voller Sehnsucht und Einsamkeit zusammengeschaufelt. Wie in amerikanischen Cinemascope-Einstellungen die Landschaft am Schluß des Filmes angefleht wird, dem Helden Zuflucht zu gewähren, so gewährt der Autor dieses Refugium seinen Protagonisten, indem er sie mit blutender Wunde die Literaturgeschichte nach hinten reiten läßt, durch die Romantik Novalis‘ hindurch ins Freie.

Bernd Schuchter: Schattentraum. Tagebuch eines Einsamen. Erzählung.

Lippstadt: Schwarzenraben 2002. 59 Seiten. € 7,60.

ISBN 3-935887-16-7

Bernd Schuchter, geb. 1977 in Innsbruck, lebt in Innsbruck.

Helmuth Schönauer 26/10/02