Porträt des Schriftstellers als armer Wurstel

Der Held in Helmut Schiestls Erzählung tritt meistens als Ich-Erzähler auf, der eigentlich darunter leidet, daß er nichts Spektakuläres erlebt. Gleich zu Beginn stürzt sich der Ich-Erzähler in das Abenteuer Sonnenfinsternis, das vom dramaturgischen Aufputz her allerhand bieten sollte, aber der Verdunkelungsspuk ist in zehn Minuten vorbei und der Erzähler geht frustriert in das regionale Archiv, um sich ein Bild davon zu machen, daß frühere Sonnenfinsternisse ähnlich uninteressant gewesen sind. Schon an dieser Einstellung zur Welt zeigt sich, daß der Held argwöhnisch seine eigenen Erfahrungen beobachtet und im Zweifelsfalle zu seinen Ungunsten auslegt. Eine ganze Serie von Begebenheiten spielt in jenem knisternden vorerotischen Beziehungsraum, in dem jede Handbewegung und jeder Halbsatz automatisch zu Mißverständnissen führen müssen. Beispielsweise ergibt sich einmal die Möglichkeit zu einem Kuß, aber durch Zaudern und Überlegungen, wie man in dieser sehr konkreten Situation einen Kuß anbringt, ist die Stimmung bereits wieder in ein Stadium der Sachlichkeit getreten, daß ein Kuß das letzte wäre, was Not tut. So heißt denn auch der zentrale Satz dieser gepreßten Erotik: "[...] wenn kein Sex mehr ist, dann ist einfach alles aus." (S. 102) Tatsächlich kommt es auch zu sogenanntem Sex, aber nur in deklarierten Traumszenen. Ehrensache, daß es sich dabei um Alpträume handelt. Die Erlösung aus dem Sex besteht jeweils darin, daß das Ich schweißgebadet in der sogenannten Realität aufwacht. In standfesten Stunden gelingt dem Ich sogar der Sprung zu einer Persönlichkeit der dritten Person. Als Held namens Welser gelingt ihm fast eine Begegnung mit einer Chinesenfrau, "die übrigens Marion hieß", wie stolz berichtet wird. Helmut Schiestl hat dem Text einen permanenten ironischen Ton untergelegt, manchmal gibt es Szenen im Unschuldston von Karl Roßmann in Franz Kafkas Romanfragment "Der Verschollene", dann wiederum tauchen Argumentationsketten auf, wie sie Daniil Charms seinen stets zu Boden fallenden Helden verordnet hat. Als "Rahmen-Requisite" dient übrigens die sogenannte "Arschlochjacke". Kaum schlüpft der Erzähler in sie hinein, wird er auch schon zum armen Wurstel, der den Beruf des Schriftstellers ausübt. - Eine eigentümlich wahre Geschichte.

Helmut Schiestl: Porträt des Schriftstellers als armer Wurstel. Erzählung. Innsbruck: Skarabaeus 2001. 108 Seiten. 165,- ATS. EU 12,-.

ISBN 3-7066-2248-3

Helmut Schiestl, geb. 1954, lebt in Innsbruck.

Helmuth Schönauer 05/07/01