TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 616

Haller und Helen

Ein Altersheim fröhlich zu besiedeln ist etwa so schwer, wie mit Wasserfarben ein Ölgemälde zu pinseln. Jürg Schubiger hilft vermutlich die Schweizer Kauzigkeit gegenüber dem Alltag, diesen Frohsinn ins Altersheim zu tragen.

Da sitzen nun Hans Haller und Helen, denn wie schon das Sprachspiel sagt, tun Insassen in der Hauptsache sitzen, im eigenen Lebensabend herum. Das Pflegeheim heißt bezeichnenderweise "Sandhalde", eine Begriff voller Ablagerungen und Sand im Erinnerungsgetriebe.

Die Gespräche verlaufen ziemlich unstrukturiert, aber höchst liebevoll. Es entsteht so etwas wie Alterserotik, wenn über verstorbene Freunde und Ehepartner geblödelt wird, die Logik ist völlig zusammengefallen, große und kleine Begebenheiten erfahren die gleiche Aufmerksamkeit, wenn sie einmal für das Gespräch zugelassen sind.

Natürlich greift immer wieder der bodenlose Alltag des Pflegeheimes mit kalten Zangen auf das plaudernde Paar, aber dieses weiß sich durch geschickte Ausflucht in Erinnerungen zu helfen.

Hinter allen Dingen lugt auch jeweils eine Portion Mühsal hervor. Kleidungsstücke fuchsen, wenn man sie an- oder ausziehen will. Sogar das Geschlechtsorgan vom Visavis schaut zuerst frech zurück, und verschwindet dann in der allgemeinen Öde des Alltags: kein Lustzwang heute!

"Haller denkt über Frauen nach, ohne daß ihm dabei viel Brauchbares einfällt. Daß ihre Geschlechtsorgane, denkt er, ihr Geschlechtsorgan, Einzahl, nicht gar so unverständlich ist, mehr umständlich als unverständlich, das das Unverständliche der Frauen woanders sein muß, wo man es nicht vermutet." (84f)

Das Alter muß also nicht unbedingt in der Mülltonne enden, wie bei Samuel Beckett, es gibt auch die kauzige, schweizerische, kunstwitzige Form, trotz aller Mühseligkeit. Und das Schöne: die Figuren wachsen mit dem Alter mit. Offensichtlich tut das Alter nicht weh, wenn man ordentlich selber drinnen steckt. So etwa könnte die Botschaft dieses fröhlichen Romans lauten.

Jürg Schubiger: Haller und Helen. Roman.

Innsbruck: Haymon 2002. 144 Seiten. € 15,90.

ISBN 3-85218-396-0

Jürg Schubiger, geb. 1936, lebt in Zürich und im Tessin.

Helmuth Schönauer 19/10/02