GEGENWARTSLITERATUR 1239

Zweiter Durchgang

Gute Romane haben ihre Widerhaken oft in einem großen Faß voller Gleitmittel eingelagert, gerade wenn die Erzählung so richtig am Flutschen ist, eröffnen sich dem Leser die härtesten Analysen zur allgemeinen Realität.

Gerald Schmickl läßt es im Roman "Zweiter Durchgang" fürs erste einmal flockig flutschen. Henryk Sieber ist Sportreporter der kopfamputierten Art und geht widerwillig zu einem Wunderwuzzi, der die Welt als Ansammlung von guten und schlechten Energiebündeln erklärt. Der sogenannte Guru ist außerhalb seines esoterischen Vortrags dem Alkohol nicht abgeneigt und hat sich die Welt in bereits eroberte und noch zu erobernde rosarote kleine Energiezellen zurechtgelegt.

Dem Sportreporter gelingt es, Kontakt zur Rennläuferin Lea Vogl herzustellen. Die momentan etwas abgetakelte Schi-Lady ist in ein Karriereloch gefallen und startet für Chile, da sie für Kärnten nicht starten kann, ein Coaching rund um die Uhr und rund um alle Gliedmaßen kommt ihr gerade recht. Und siehe da, nach einer recht mäßigen Saison gelingt ihr schließlich wohlgecoacht im entscheidenden Rennen der Sieg, und die ganze Welt löst sich in ein Energiebündel von Glück auf.

In diese recht süffig zu lesende Sportler- und Esoterik-Story sind wunderschöne Analysen zur österreichischen Schiwelt, zum Wahnsinn kleinformatiger Medien, zum rosaroten Glanz österreichischer Wahrnehmung und zur Karriereplanung für kleine Dimensionen eingeflochten.

Die Darstellung skurriler Situationen, in denen Redaktions-Chefs im Zweifelsfalle durchgehend brüllen und drohende Strafversetzungen ins Inlandsressort selbst mickrigste Sportreporter zu Sonderschichten des Wahnsinns anspornen, läßt jeden Zeitungsleser aufatmen: Hier steht im Roman endlich das, was in den Zeitungen nie steht. Der Sinn von Redaktionen besteht offensichtlich in der täglichen Querlektüre anderer, ebenso mieser wie österreichischer Blätter!

Und der Sport erst! Schlimmer als die Qual, die Radrennfahrer bei der Bewältigung von Alpenpässen auf sich nehmen, ist die Qual des Sportreporters, wenn er ihren gequälten Aftern bergauf und bergab zusehen muß, bis beide wund sind, After und Augen.

Das Schlimmste eines Schirennens sind die Interviews, in denen keine Sicherheitszäune gespannt sind, und wo es Läufer und Läuferin gnadenlos hinauswuselt in die Lächerlichkeit.

Der als Ich-Erzähler posierende Sportreporter hat Frust, Weisheit und Abgebrühtheit in harmonischem Verhältnis inwendig gespeichert, so daß ihm weder biographische noch redaktionelle Krisen etwas anhaben können.

Gerald Schmickl läßt die Welt der Gurus und der Medien elegant aufeinanderprallen und in einer Kernfusion der Banalitäten implodieren. So wird das permanente Aquarellieren frigider Volkshochschulbesucherinnen fachkundig als "Hausfrauen-Lulu" bezeichnet. Letztlich arbeiten alle in der Medienlandschaft an einem einzigen Fake, das einmal Österreich, einmal Abfahrtslauf und ein andermal Glück heißt. Gerade weil der Autor den Figuren Einsicht in ihre eigene Erbärmlichkeit verschafft, leiden wir als Leser so innig mit diesen selbst-abgebrühten Figuren. Ein Roman voller Ironie und journalistischer Abklärung!

Gerald Schmickl: Zweiter Durchgang. Roman.

Wien: Deuticke 2003. 185 Seiten. EUR 17,90.

ISBN 3-216-30675-5

Gerald Schmickl, geb. 1961, lebt in Wien.

Helmuth Schönauer 01/02/03