Der menschliche Makel

Die political correctness schlägt oft aus heiterem Himmel zu, und wehe dem, der dann nicht fit ist. Professor Coleman geht die Anwesenheitsliste eines Seminars durch und spricht beiläufig von zwei "dunklen Gestalten", die abwesend sind. Und da es sich um zwei Schwarze handelt, ist seine Karriere als Dekan beendet, denn seine Unbedachtsamkeit wird ihm als Rassismus ausgelegt.

Dabei gäbe es größere Moraltopfe, in die man hinein steigen könnte. Immerhin hat der 71-Jährige eine Putzfrau und Melkerin als Geliebte, die zwar nicht lesen kann, aber dafür alles von der Welt weiß. Ihr verdankt der Roman auch den Titel vom menschlichen Makel.

"Das kommt davon, wenn man handzahm geworden ist", sagte Faunia. "Das kommt davon, wenn man die ganze Zeit mit Leuten wie uns verbringt. Das ist der menschliche Makel", sagte sie, weder angewidert noch verächtlich, noch verurteilend. (271)

Aus einer gewissen Distanz geht der Alte sein Leben durch, er hat es mit seinem Prostatakrebs gerade noch geschafft, nimmt regelmäßig sein Viagra um sechs, wenn sie um sieben kommt, mit der Zeit wagt er sich sogar wieder auf den Campus und erfährt dort als Lauscher eines politischen Studententalks, daß Präsident Clinton es seiner Aspirantin in den Arsch hätte geben müssen, dann hätte sie den Mund gehalten.

Die Zeitgeschichte verklumpt zu solchen interessanten Analysen der breiten Bevölkerung. Selbst der Vietnamkrieg ist noch lange nicht vorbei und schickt seine Ausländer in Gestalt von wahnsinnig gewordenen Veteranen ins Restaurant, wo sofort Ausnahmezustand herrscht, sobald ein schlitzäugiger Kellner einem Veteranen über den Weg läuft.

Zeitgeschichte ist aber auch die Memorial-Wand, an der sich am Veteranentag Überlebende und Gestörte einfinden, um verschollene und halbvergessene Angehörige aus dem Krieg für einige Augenblicke ins Bewußtsein zurück zu holen.

Auch der Rassenkampf wirkt im hohen Alter zwar etwas abgefedert nach, aber die Schlüsselstelle, als der schwarze Coleman (nomen est omen) in ein weißes Bordell gehen wollte und zusammengeschlagen wurde, läßt sich auch nach Jahrzehnten noch nicht mental entschlüsseln. Abtauchen und Boxen, das hat einmal in der Jugend geholfen, jetzt boxt Coleman mit seiner Erinnerung.

Und seine Freundin hat zwei Kinder bei einem Brand verloren, als sie vor der Haustüre einem Kunden gerade einen auf der Flöte blies. Es sind komische Inszenierungen, mit denen der menschliche Makel die Menschen heimsucht. Alles was wir berühren, was wir tun, wo wir abstreifen ist danach nicht mehr wie früher, der Menschliche Makel verändert alle Dinge.

Philip Roth hat einen tollen Roman geschrieben, indem die Zeitgeschichte lustig wird, das Alter hyperbrünftig und die so seriösen Lebensleitbilder am besten mit der größtmöglicher Ironie belächelt werden. Die Altersweisheit, wenn sie knapp am Überschnappen ist, ist an manchen Tagen bloß furchtbar, dann wieder auch furchtbar lustig.

Philip Roth: Der menschliche Makel. Roman. A.d.Amerikan. von Dirk van Gunsteren. [The Human Stain, 2000].

München: Hanser 2002. 398 Seiten. 24,90 EUR.

ISBN 3-446-20058-4

Philip Roth, geb. 1933 lebt in New Jersey.

Helmuth Schönauer 25/06/02