Das Schweigen am anderen Ende des Rüssels

Mit den schönsten Gedichten gegen die Schwerkraft der Erinnerung umklammert Matthias Politycki seine Texte von Reisen in alle Kontinente. Im Eingangsgedicht geht es um einen schrecklich schönen Tag, der sich unvergeßlich an den Outer Banks im April 1995 zusammengebraut hat, das Schlußgedicht heißt Botswana-Blues, es wird sich in Seronga im August 2005 ereignen. Die Tage sind jeweils so schön, daß sie das lyrische Ich am liebsten gar nicht erlebt hätte. In diese lyrische Umklammerung sind Texte eingelagert, die auf den ersten Blick wie Reiseberichte wirken, es gibt scheinbar echte Orte, konkrete Zeitangaben, der Ablauf der Erlebnisse ist von einer Reiselogik geprägt, die den Leser auf der ersten Erlebnisschicht sehr bedeutsam in alle Gegenden und Kontinente der Welt führt. Es geht um Tauchgänge vor Scharm el-Sheik, um Buddhas goldenen Schließmuskel in World’s End, um eine klassische Safari in Bujumbura oder um ein Schilager in der Wildschönau, was für ein Welt-Ort! Aber beim zweiten Blick wird klar, daß hier die erwarteten Erzählmuster nur als Verschweißfolie dienen für etwas, das in Wirklichkeit etwas ganz anderes ist, nämlich konstruierte Erinnerung. Die Reisen mögen vielleicht einmal so statt gefunden haben, aber in der Darstellung wird ihnen ein virtueller Drall gegeben, vielleicht sind die Reisen auch nur Projekte gewesen für ein Stipendium, das nie eingelangt ist, vielleicht war es nur ein potentielles Gespräch im Reisebüro, das aber zu keiner Buchung geführt hat, oder es ist jemandem überhaupt der Blick von der Tastatur geglitten und in die Ferne abgedriftet für einen Tiefseegang. Eine Schlüsselrolle in der kosmopolitischen Beschreibungslust nehmen immer Sätze in einem Touristenenglisch ein. Ganz egal, ob eine schöne Hosteß in Sofia eine geile Nummer verspricht oder der Käptn vor dem Tauchgang die Dieselmaschine hinaufdreht, alle reden in diesem internationalen Konsumenten-Englisch, Ju nou! Kein Wunder, daß da die Tiroler Kerle aus der Wildschönau sofort authentisch mit von der sprachlichen Partie sind, Ju nou, ihre Angebote klingen nuttig wie alles, was der Konsum irgendwo auf der Welt anbietet.

Matthias Politycki: Das Schweigen am anderen Ende des Rüssels. Hamburg: Hoffmann und Campe 2001. 221 Seiten. 255,- ATS. € 18,53. ISBN 3-455-05890-6

Matthias Politycki, geb. 1955, lebt in Hamburg und München.

Helmuth Schönauer 26/10/01