Grün - Eine Verstrickung

Der Autor gibt seinem Textstrang oft den Charakter von autobiographischen Notizen. Ein Tagesablauf, die Handgriffe im Haus, frisch gekochte Speisen oder Schimmelpilze in der Speis und anderswo sind einige Anlässe, um die herum verschiedenste Theorien und Fragestellungen über das Leben am Lande entworfen werden. Etwa, wie die Zahnräder der Ereignisse ineinander greifen und inwiefern es sich lohnt, den Beobachterposten zu verlassen und einzugreifen. Allmählich breiten sich die Gedankenkreise schier uferlos aus, gehen zurück in die Kindheit des Autors und bei dieser Gelegenheit zeigt sich abermals das System Verstrickung, denn jeder ist mit jedem verwandt oder bekannt und von den übrigen Talbewohnern weiß man nichts. Gegen Ende zu hat sich das Skizzenhafte des Textes völlig verflüchtigt, und der Autor nimmt einen jeweils leicht abseits vom Hauptgeschehen liegenden Beobachterstandpunkt ein, mit dem er die Rituale des Dorfes ironisch beschreibt. Da ist Engelbert Obernosterer in seinem Element, wenn die diversen Körper der hochgeschätzten Dorfelite ständig aus dem Leim gehen und nur mehr mit Mieder oder kriminellen Hutmodellen etwas gezähmt werden können. Oder wenn bei Begräbnisfahrten älteren Herrn noch einmal die Lust einschießt, weil sie begreifen, daß es offensichtlich im Jenseits keinen Sex gibt. Von feiner Ironie durchzogen sind auch die Berichte über späte Begegnungen mit Jugendsünden und Jugendliebschaften. Und immer wieder zieht das Motiv der Vergänglichkeit auf, beeindruckend schön nachzulesen an jener Stelle, wo sich der Erzähler barfuß ins Grün begibt, um die Kindheit zu begreifen, alles paßt noch wie damals, aber mit dem Atem stimmt etwas nicht mehr, er kriegt keine Luft. In Engelbert Obernosterers "Verstrickung" läuft der Text nicht glatt und chronologisch gegliedert ab, immer wieder hat der Autor literarische Bremsklötze eingebaut, die das Erzählgespann einbremsen. Eine Methode der Verlangsamung besteht darin, daß der Autor auch über seine Tätigkeit des Schreibens reflektiert. Die Idee des Autors, daß man in einer peripheren Gegend, der Autor lebt in Hermagor und das Gail- und Lesachtal sind sein Revier, durchaus mit dem Format der Welt, um nicht zu sagen Weltformat, erzählen kann, ist aufgegangen.

Engelbert Obernosterer: Grün. Eine Verstrickung. Klagenfurt: Sisyphus 2001. 133 Seiten. 198,- ATS. € 14,60. ISBN 3-901960-05-8

Engelbert Obernosterer, geb. 1936, lebt in Hermagor.

Helmuth Schönauer 03/08/01