Rain On My Crazy Bärenfellmütze

Jemand hat einmal gesagt, der Falter sei die einzige nicht gleichgeschaltete Zeitung Österreichs, ohne zu sagen, wie dieser Gleichschalter aussieht. Und wenn jemand im Falter wöchentlich seine Kolumne schreibt, so ist er wohl wöchentlich nicht gleichgeschaltet. Klaus Nüchtern hat dieser Vorgabe, unabhängige Texte verfassen zu müssen, elegant gelöst, indem er eine eigene Literaturgattung kreiert hat. Ein Nüchtern-Text besteht aus gut zweitausend Zeichen, die ein Thema immer subjektiv und ohne Anlaß anwerfen und dann in Schlingerbewegungen zum Entgleisen bringen. Die Kolumnen sind semantische Schiffe, die entgleisen, statt zu stranden. In einem geradezu idealtypischen Text-Beispiel "Kein Ständer für Karl-Uwe" geht es um das ideale Frühstück, das zwischen den Geräuschen eines aus der Biologie ausgetretenen Kunstspechtes, einer zu einem Feuilleton verdichteten Zellulose und dem Unlustgefühl eines Holzfällers ohne Ständer hin und her driftet. Auslöser für die Gedanken sind Geräusche von kaputten Bohrern, im Gesang abgewirtschafteter Singvögel und einer sinnlosen Axt eines deutschen Holzfällers. Lange ist nicht klar, was eigentlich das Thema dieses morbiden Selbstfrühstücks ist, aber gute Kolumnen haben kein Thema, und wenn doch, ein irreführendes. Allein schon solche Zwischentitel wie Drogen und Didaktik, Gemüse und Getränke, Kummer in Kärnten oder Hosen und Haare weiten den Horizont immer bis ins Unendlich-Denkmögkliche auf, denn Denken besteht vor allem aus Aufweitung, denkt der Autor. Klaus Nüchterns Kolumnen-Sammlung ist ein Geschichtsbuch, das man freiwillig liest, weil darin Sachen vom eigenen Erleben vorkommen. Hier wird die Stimmung des Zeitgeistes freigelassen, während ihn andere einsperren. Das Geräusch, das beim Aufschütteln der Gedanken entsteht, erinnert an das Tropfen des Regens auf die Bärenfellmütze. Eben. Selbst die verrücktesten Gedanken sind letztlich straff und logisch.

Klaus Nüchtern: Rain On My Crazy Bärenfellmütze. Nüchtern betrachtet: die 76 zweitbesten Kolumnen mit zahlreichen Vorworten und 4 Bonustracks.

Wien: Falter Verlag 2001. 199 Seiten. 200,- ATS. € 14,50.

ISBN 3-85439-216-8

Klaus Nüchtern, geb. 1961 in Linz, lebt in Wien.

Helmuth Schönauer 17/10/01