Gezeitigte Fußnoten

Wenn man Zen-Texte als die kompakteste Art der Literatur bezeichnen will, worin Mehrdeutigkeit und Einfachheit am klarsten verschmolzen sind, so haben die "Gezeitigten Fußnoten" von Martha Lanz etwas von diesem Zen-Sinn, ohne diesen jetzt irgendwie vereinnahmen zu wollen. Was im politischen Sinn Michael Guttenbrunner versucht, nämlich sparsam und doch wie die Axt Kafkas unabwendbar den Filz zu spalten, betreibt Martha Lanz vielleicht auf dem Gebiet der letzten Dinge. Die vier Blöcke zu je zehn bis dreizehn Gedichten sind überschrieben mit "Nichts überstanden...", "Nichts verloren...", "Nichts vergessen...", "Nichts will ich werden...Es sei denn Sand am Meer". Der Vergleich mit einem Lesebuch, in dem die Texte zum Kreislauf des Jahres angeordnet sind, bietet sich an, nur daß diese Jahreszeiten eine andere Zeit ansprechen und statt der Ernte, als Höhepunkt des Jahres, das Vergehen im Sand ins Auge fassen. "nichts / nichts nichts nichts / es sei denn Sand / überstanden verloren vergessen am Meer". Die Botschaft der Texte ist oft so radikal, daß man sie beim ersten Hinlesen gar nicht wahrnehmen will, zuweilen sind eine Farbe oder eine Stimmung vorgelegt, die in lockender Atmosphäre zum Eintritt ins Gedicht einladen. Aber einmal in den Trichter des Gedichtes gefallen, ist die Botschaft hart und unausweichlich. "Grün / sind die Dörfer. / Meine / Dörfer sind grün. // Gebären und gären / ihren Unrat selber. // Und / ordnen ihn täglich neu."(43) So ein Gedicht sollte man einmal den diversen Heimatbüchern voranstellen. Unter dem satten Grün der optischen Erbauung spielt sich das wahre Leben ab, schön geordnet und ohne Ende gärt alles vor sich hin. Mit so einem Sinnspruch unterm Auge verändert sich tatsächlich die Lebenseinstellung. - Ein Meisterinnenwerk!

Martha Lanz: Gezeitigte Fußnoten.Egelsbach: Fouqué Literaturverlag 2001. 61 Seiten. 88,- ATS. € 6,40.

ISBN 3-8267-4877-8

Helmuth Schönauer 12/07/01