Semier Insayifs Arbeit stellt sich als Mittelding zwischen Physik und Lyrik dar. Die einzelnen Gedichte sind sauber gearbeitete Text, jeweils mit einer präzisen, für die Lyrik fast ungewöhnlich klaren Überschrift und in Kleinschreibung gedruckt. Die Gedichte lassen sich konventionell einzeln für einen einzelnen Anlaß lesen, aber wie schon aus dem Eingangskapitel hervorgeht, stehen die Gedichte zueinander in einem physikalisch-logischen Zusammenhang. Das Hauptwerk beherbergt Kapitel wie "ein-gang", "bewegungs-richtungen", "grund-sätzliches und selbst-reflexives", "denk-ströme und gedanken-flüsse", "ver-wegungen oder vier ver-satz.stücke" und "aus-gang". Jedem Kapitel ist ein schwerer Erkenntnissatz eines Meisters vorangestellt, so kommen etwa Robert Walser, Aristoteles, Honoré de Balzac oder Thomas Bernhard zu Wort. Einige Male sind die Texte nicht nur in ihrer Bedeutung quer angelegt sondern wegen der überlangen Zeilen auch quer ins Buch gedruckt, was vom Leser immerhin eine minimale Interaktion verlangt, und sei es nur, das Buch richtig zu drehen. Den Gedichten wird durch das häufige Zerlegen der Wörter ein eigener Rhythmus aufgezwungen, durch das gleichwertige Betonen der zerlegten Wortglieder entstehen wie von selbst Feierlichkeit und ein kultischer Ton. Wenn der übliche Sinn einmal aufgebrochen ist, ergeben die atomisierten Wortteile immer wieder einem völlig neuen Sinn. Und bei allen Variationen heißt das Hauptthema immer Bewegung, Beginn einer Bewegung oder Einfrieren derselben. Verblüffend logisch werden Bewegungen auch scheinbar statischen Gegebenheiten angekleidet, wie etwa den Himmelsrichtungen. Auch Wortgattungen können eine eigene Bewegungsgattung entwickeln, indem etwa verschiedenen Zeitwörtern oder Richtungswörtern wie vor-wärts eigene Gedichte gewidmet sind. Semier Insayif hat mit seiner an der Bewegungslehre der Physik geschulten Lyrik einen interessanten Versuch zur Dynamisierung der Sinneseindrücke vorgelegt. Und manche Texte bringen sogar das Zwerchfell in Bewegung, denn trotz der strengen Kompositionstechnik ist ein Lachen zwischen den Texten oft zwingend vorgeschrieben.