TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 624
meine augen durch deine
Bei Textagglomerationen, die verschiedene Literaturgattungen beinhalten, ist natürlich vor allem interessant, welcher Stoff welcher Gestaltungsform zugeteilt wird.
Daniela Hättich hat sich in ihrer ersten Publikation für Halbe-Halbe entschieden, der Stoff von Liebe mit und ohne Selbstverwirklichung wird einerseits zu Notaten verkürzt und in lyrische Zeilen gegossen, andererseits beschwörend rosenkranzhaft in Prosa umkreist.
Die Gedichte sind völlig von jeder Zeremonie entschlackt, die Zeit wird mit ein paar Zeilen notiert und in ein lyrisches Umfeld positioniert, oft verweisen geographische Angaben auf eine Realität, die hinter der Poesie ganz konkret festgemacht wird. So gilt etwa das Verschmelzen der verschieden färbigen Flüsse Rio Negro und Rio Solimoes als geographische Gegebenheit, auf der das Verschmelzen der verschiedenen Menschenströme in ihren diversen hautfarben installiert sind.
Was auf den ersten Blick ziemlich unbehauen wirkt, wenn etwa Nennformgruppen untereinander gereiht werden, gibt dem Leser allerdings die Chance, auf diesen Nullformen der Poesie seine eigene Konstruktion zu entwickeln.
Beziehungskisten, Generationenverflechtung, das Entstehen eines Kindes als materialisierte Fiktion sind einige Themen, die in der Prosa in großen Zuwendungsschleifen immer und immer wieder angezupft werden. Rhetorische Fragen werden mit Schlagzeilen aus der Tageschronik verknüpft, die Kindheit wird in durchnumerierte Erlebnissequenzen aufgegliedert und schließlich münden alle Überlegungen in einen apokalyptischen Schöpfungsalptraum, indem Umweltdesaster und Tschernobyl mit der aussichtslosen Zukunft der Kinder verlötet werden.
Daniela Hättichs Werkschau gibt einen guten Überblick über die Arbeitsweise der Autorin, oft bleibt allerdings der Eindruck eines Best-Of, wo man sich eine Arbeitsweise mit längerem Atem erwarten würde. Und viele Texte sind deklariert nach innen gerichtet und in einem Maße introvertiert, als ob sie ja keinen Leser finden wollten.
"Schon als Kind wußte ich, daß ich niemanden brauche, ich brauche kein Spiel, ich bin mir selbst genug, sagt er." (30) Selbst die Figuren sperren sich an manchen Stellen vor dem Leser weg, es ist unklar ob aus Arroganz oder Verunsicherung.
Daniela Hättich: meine augen durch deine. Prosa und Lyrik.
Innsbruck: Haymon 2002. 138 Seiten. 14,40.
ISBN 3-85218-395-2
Daniela Hättich, geb. 1961 in Innsbruck, lebt in Kärnten.
Helmuth Schönauer 14/12/02