Hoffnungshund

Während der Lektüre ziehen sich im Kopf des Lesers zwei Gefühle zusammen: völlige Raserei und komplette Gelassenheit. Die Raserei entsteht durch die Heftigkeit, mit der eine Sprache für Ausnahmesituationen gesucht wird, und die Gelassenheit ist die eines Hundes, der außerhalb seiner selbst auf einer Anhöhe steht und ins Tal hinunterblickt. In Ingram Hartingers romanhaftem Text geht es um die wichtigesten Dinge des Lebens, nämlich um die Liebe, das Aushalten des heftigen Zustandes und das Einsortieren dieser erodierenden und ausfransenden Gedanken in eine Innen- und Außenwelt. Ein fast "schmachtender" Vorspann beschreibt einen irrationalen Seufzer, der entsteht, wenn alle Sehnsüchte notdürftig in der Formulierung "wärst du da" untergebracht werden müssen. Der Text besteht aus meist halbseitigen Assoziationsblöcken, die unvermittelt einsetzen und abrupt aufhören und als Inhalt so etwas wie einen Gefühls-Cluster darstellen, scheinbar ohne Anlaß aufgezählt, aber dann doch so realistisch ausgeführt, als ob sich damit eine Krise bewältigen ließe. Gleich zu Beginn geht es ziemlich koordiniert um den ersten Tag einer inneren Erlebnistour, aber die Stadt ist fort und Schlaf und Schweigen wechseln einander ab. Die inneren Vorgänge sind herausgeschält, indem die äußeren Gegebenheiten negiert oder wegretuschiert sind. Der Sinn entsteht durch Dekonstruktion der Sicherheit und das einzig halbwegs Unversehrte ist paradoxerweise das erzählende Ich, um das herum ständig die Sprache und die Tatsachen versinken wie in Katastrophenfilmen. Diese aufwühlende Reise durch den stets abdriftenden Lebenssinn endet schließlich in einer poetischen ‘End-Parabel’: "Gehen wir. Wohin immer du willst. Und nunmehr, am Ende, bricht durch in uns beiden - der Ursprung." (203) Vom Textbild her sind diese schweren Gedankenabsätze zusätzlich strukturiert, indem Schlüsselbegriffe quasi wie eingedruckte Lesezeichen in der Gestalt von allwissenden Spalten aus dem Konversattionslexikon den Assoziationsfluß steuern.. "Zeit", "Der Stil der frühen Sammler", "Die schamanische Reise", "Psychogramm" oder "das Individuum" sind Auskunftsschienen, auf denen scheinbar allgemein gültiges Wissen in den Textablauf geschoben wird. Und als Steuerungselement nicht zu vergssen sind auch die Arbeiten von Hugo Wulz, die in dem radikalen Schwarz-Weiß des Linolschnitts eine Art Schöpfungsbericht des inneren Universums dokumentieren. Ingram Hartinger hat ein in jeder Hinsicht überzeugendes Buch geschrieben. Heftigkeit, Leidenschaft und Grenzen auf der Suche nach der adäquaten Sprache eines vitalen Individuums in offensichtlich kalter Umgebungsmaterie erzeugen jene Spannung, nach der Bimetalle funktionieren, kalt-warm, weich und hart, und das alles in einem unerschöpflichen Leseaufguß!

Ingram Hartinger: Hoffnungshund. Linolschnitte von Hugo Wulz. Klagenfurt: Hermagoras-Verl. 2001. 211 Seiten. 206,- ATS. € 15,-. ISBN 3-85013-835-6

Ingram Hartinger, geb. 1949 in Saalfelden, lebt in Klagenfurt.

Helmuth Schönauer 05/12/01