Der Pöbelkaiser

Das Schlüsselwort dieses Briefes heißt "vernutzen", ein Mittelding zwischen dem inflationär verwendeten "vernetzen" und dem "Nutzen", der hinter allen Tätigkeiten und Worthülsen unserer Gesellschaft zu stehen hat. Als Leser kann man den Text reflexartig vernutzen, indem man einfach einmal mit offenem Mund liest, wie die österreichische Gegenwartsliteratur außerhalb der offiziellen staatstragenden Gesichtergalerie ausschaut. Mit dem an den Seitenblicken geschulten Blick in semantische Gesichtsnullen werden Elfriede Jelinek als keckes Literaturmädl mit Sportlersprossen im Face, Peter Turrini als Daueronkel, Robert Menasse als schwitzender Hitzkopf, Robert Schindel als selbststolzer Sprachfehler und Peter Handke als Kleinhäusler mit geistigem Kropf dargestellt. Und während man als Leser noch schmunzelt, ist man eigentlich schon mitten in der Scham über das literarische Getue, das man üblicherweise über sich ergehen läßt und das tagtäglich über die Einheitsmedien über einen ergeht. Neben dieser Vernutzungsmöglichkeit Marke Seitenblicke bietet das Buch aber auch etwas höchst Rares: Eine Einladung zum Nachdenken.

Die Wortspenden der 68er erweisen sich als ziemlich leer gepumpte Seifenspender. Die 68er, das sind jene, die in Woodstock nackt getanzt haben und seither Nacktheit für Freiheit halten. In ganz frecher Form treten sie als ökologische Freaks im grünen Gewand auf.

In Alfred Goubrans Analyse kommen die 50er Jahre als freie Fläche vor, wo noch allerhand möglich gewesen ist, auf der Spielwiese, im Bauland und schließlich auch in der Literatur. Aber am Beispiel Lebert kann man sehen, wie die Gesellschaft mit solchen Auslotern der Freiheit verfahren ist, und welche flach gepreßte Ikonen an ihrer Stelle installiert worden sind.

Über allem steht schließlich der Pöbelkaiser, ein Konglomerat aus kaiserlichem Getue, rundumschlagendem Widerstandskämpfer und vom Bauchfell gesteuerten Globalisierungsgegner.

Obwohl der Text in seiner Wahrheit keine Fiktion braucht, hat ihm Alfred Goubran die Fiktion eines Briefes an einen Verleger untergelegt, für den Fall, daß der Leser die reine Klarheit nicht aushält und unbedingt etwas vom Gefummel der österreichischen Gegenwartsliteratur in seinen lächerlichen Auswirkungen erleben will.

Alfred Goubran: Der Pöbelkaiser oder Mit den 68ern ‘Heim ins Reich’. Ein Brief. Salzburg: Residenz 2002. 176 Seiten. € 18,90. ISBN 3-7017-1287-5

Alfred Goubran, geb. 1964 in Graz, lebt in Wien.

Helmuth Schönauer 03/03/02