Gelich, Spur

GEGENWARTSLITERATUR 1246

Die Spur des Bibliothekars

Es beginnt wie ein Krimi der melancholisch-abstrusen Art. In Rumänien ist ein österreichischer Bibliothekar verschwunden und ein anderer Bibliothekar soll ihn suchen.

Beim Leser löst dieser seltsame Plot sofort riesige Neugierde aus, ist doch ein Bibliothekar in der Literatur auf jeder Seite für eine Überraschung gut. Außerdem weiß man über das Land hinter den Karpaten so gut wie nichts.

So macht sich also Florian Servaes, Angestellter der Wiener Städtischen Bücherei, auf, um in der Stadt Iasi den verschollenen Vorgänger namens Tanzer zu suchen.

In Rumänien eingetroffen breitet sich umständliche Hilflosigkeit aus, Servaes repariert eine ramponierte Inschrift mit den Öffnungszeiten und macht ein Foto davon, der Beginn einer sinnlosen Beweiskette.

Die österreichische Bücherei ist in einem erbärmlichen Zustand, fast ist man versucht zu sagen wie die österreichische Literatur.

Devastierte Einrichtung, aufgelöste Kataloge und kaputte Bücher vermitteln einen Eindruck der österreichischen Kultur, wie er provinzieller, hoffnungsloser und abgelegener nicht sein könnte.

In einer Novelle gibt es immer auch eine kleine Überraschung. In diesem Fall kommt eine Leserin, die bereits den Vorgänger Tanzer betreut hat, und betreut auch den neuen Bibliothekar mit Essen, Wohnung und Hormonpflege. Alles artet in eine große Wiederholung aus, wie eben ein Bibliothekar den anderen ersetzt.

Einmal ist von Selbstmord Tanzers die Rede, dann wieder von Schmuggel von Kulturgütern und schließlich gibt es eine Spur, die ins Delta zu den Vögeln und Fischen führt. Und tatsächlich, durchs Fernrohr ist Tanzer kurz zu sehen, es gibt einen Blick des literarischen Einverständnisses, wie es selbst das beste Gespräch nicht herstellen könnte. Der recherchierende Stadtbibliothekar dreht sich um und seine Geliebte und offensichtlich einzige Leserin ist verschwunden. Es folgt die ernüchternde Heimkehr nach Wien, während die Erinnerung in vollen Schüben einsetzt.

Johannes Gelich hat eine Novelle geschrieben, die einerseits durch ihre Einfachheit verblüfft, anderseits durch ihre melancholische Ironie. Natürlich sind die Schicksale aller Landvermesser und strafversetzen Lehrer des Literaturkanons heraus zu lesen, aber gerade die Wiederholung solcher Schicksale trägt seltsamerweise ausgezeichnet. Immerhin geht es ja um die Suche nach Sinn in entlegenen Zonen, und außer einem verständnisvollen Blick an der entscheidenden Stelle ist von diesem Leben nicht viel zu erwarten. Die Mission ist erfolgreich, könnte man sagen, denn mehr als eine Spur zu hinterlassen, ist ohnehin auf dieser Welt nicht gefragt.

Bemerkenswert sind die Motive, immer knapp am Klischee aber dann doch wieder rabiat und unbändig frech dargestellt. Türschilder, Zitate, Eintragungen, Fotos, alles liefert samtene Hinweise. Erzählt wird eine perfekte Schatulle, in welche der Leser seine gelesene Novelle paßgenau ablegen kann.

"Die LKWs hatten eine tierische Anstrengung unternommen, um auf die Fähre zu kommen" (207)heißt es gegen Ende der Novelle. Der Autor hat eine tierische Anstrengung unternommen, um diese Novelle zu erzählen. Und beide Unternehmungen sind geglückt.

Johannes Gelich: Die Spur des Bibliothekars. Novelle.

Salzburg: Otto Müller Verlag 2003. 215 Seiten. € 16,-.

ISBN 3-7013-1064-5

Johannes Gelich, geb. 1969 in Salzburg, lebt in Wien.

Helmuth Schönauer 13/03/03