GEGENWARTSLITERATUR 1183

Das Eis, das bricht

In der Unterhaltungsliteratur wird das Aussteigen der Helden gerne mit einem Abenteuer belohnt. Und wenn zwei Menschen aussteigen, fällt das Abenteuer ganz besonders groß aus und nennt sich späte Liebe.

Oft begeben sich ja Menschen, die noch einmal etwas aus sich machen wollen auf dünnes Eis, und siehe, in diesem Falle bricht es.

Sabine Friedrichs Roman beginnt mit einem typischen "Fargo"-Motiv. In der entlegenen Winterecke Amerikas fährt der deutsche Architekt Robert Brauer durch die Kälte, als plötzlich ein junger Mann mit einem Kind vor die Motorhaube springt. Er deutet ins Gebüsch und verschwindet, im Gebüsch liegt eine Frau, abgefrorene Zehen, gefrorenes Blut am Kopf, Kerntemperatur unter jeder Kritik.

In der Folge betreut der Architekt seinen Eisengel, wie die Frau im Koma genannt wird. Schicht für Schicht wird die Frau erwärmt, ihr Bewußtsein wird animiert, ihre Geschichte reaktiviert. Es handelt sich um Sina Beatrice Fischer, die gerade in München ihren Versicherungsjob hingeschmissen hat und eine Reise an die Ostküste der USA gebucht hat, weil ihr ein entsprechender Reiseführer "Von Florida nach Maine" in die Hände gefallen ist.

Das trifft sich gut, denn auch Robert Bauer ist Deutscher, so können sie sich gut verstehen, einander zum Leben erwecken und ihre Geschichte aufarbeiten. Beide haben nämlich genug von Europa und dem alten Leben, die Frau hat gerade ihren Vater begraben, der an Krebs gestorben ist, der Mann hat seine Ehe begraben, wie es biologisch gesehen um diese Lebenszeit üblich ist.

Nach einer heftigen Liebschaft, die den gestandenen Lebenskalibern gar nicht so ohne weiters zuzutrauen wäre, wird gegen Ende noch das Rätsel um den Überfall am Beginn des Romans aufgerollt. Es geht um einen Versicherungsbetrug und ist logisch wie die Liebe.

Sabine Friedrich erzählt ihren Roman scheinbar kalt und etwas spekulativ herunter, aber diese Coolness entspricht dem erzählten Fall, das Leben von Aussteigern spielt sich manchmal wirklich so seltsam ab. Während die Begebenheiten wie in einem Road-Movie mit einem Abstecher in die Vorstadtklinik ablaufen, spitzt sich allmählich die Sensibilität für die Gefühle zu. So laufen dann rein äußerlich gesehen die Dinge recht trivial und kleinkariert als angewandte Vorabendserie ab, aber der Erzählsound ist bald einmal aromatisiert und erzeugt jenen Duft von Liebe, der immer einen Hauch von Kitsch in sich tragen muß, will das Liebesunterfangen funktionieren.

Sabine Friedrich: Das Eis, das bricht. Roman.

Frankfurt/M: Eichborn 2002. 268 Seiten. 19,50 EUR.

ISBN 3-8218-0912-4

Sabine Friedrich, geb. 1958 in Coburg, lebt in Coburg.

Helmuth Schönauer 10/08/02