Die Tante Pille wird fünfzig!

Carl Djerassi’s Anmerkungen zu Sex, Kunst und Unsterblichkeit

Mittlerweile ist jeder Mensch auf dieser Erde von der Pille betroffen, entweder weil er sein Dasein ihrem Versagen verdankt, oder weil er im Umgang mit den Geschlechtsorganen und ihren Austrieben dankenswerterweise auf sie zurückgreifen kann. Wobei Mensch hauptsächlich Frau bedeutet, was die Anwendung betrifft, und eingefleischte Männer-Clans wie die der Vatikanischen Moral-Gilde, wenn es um die Erlaubnis zur Benützung geht.

Carl Djerassi, geb. 1923 in Wien, ist Professor für Chemie an der Stanford University und Schriftsteller und war 1951 maßgeblich an der Entwicklung der Ur-Pille beteiligt. In seinem Buch erzählt er einerseits tagebuchartig von den Versuchen und ersten Anwendungen der Pille, für Leser mit Interesse an Chemie sind auch die wichtigsten Formeln in Gestalt von etwas deformierten Bienenwaben aufgezeichnet, andererseits erzählt er Geschichten rund um die Auswirkungen der Pille.

Allein die Bezeichnung "die" Pille ist eine eigene Geschichte und zeigt das etwas verworrene Verhältnis zeitgenössischer Journalisten zu Moral und Scheinmoral, denn seit sechzig Jahren ist die Pille begleitet von guten Ratschlägen der dritten Art.

So widmet sich auch der mittlere Block des Textes den moralischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Pille. Der Autor zitiert beeindruckend leise Statistiken, die es in sich haben. Allein, wenn man bedenkt, wieviele Geschlechtsverkehre auf der Welt während jener Zeit, die man für die Lektüre dieses Buches braucht, stattfinden, ergibt das eine so unvorstellbare Zahl, daß man sich fragt, wie eine geordnete Reproduktion überhaupt bewältigt werden kann. Eine sehr sarkastische These des Erfinders sagt, daß die Pille heute nicht mehr zugelassen würde, hätte man sie erst heute erfunden. Die Zeiten sind schlecht für die Pille und das ist auch einer der Gründe, warum mit der Pille für den Mann nichts weitergeht.

Im dritten Teil des Buches führt der Autor die Leserschaft an jene Grenze, wo Theater und Forschung in einander übergehen. In dramaturgisch fein durchgearbeiteten Texten wird die Forschung mit der Ethik konfrontiert. Das Problem der Selbstkontrolle von Forschung kann nämlich nicht durch diese selbst gelöst werden.

Nebenbei erzählt Carl Djerassi, wie er zu einem der bedeutendsten Kunstsammler geworden ist, wie ihn der Wiener Dialekt ein Leben lang verfolgt hat, wie er das Scheitern einer Liebesbeziehung fast nicht überlebt hätte und allmählich wird klar, daß Sexualität, Kunst und Unsterblichkeit dermaßen verwoben sind, daß es immer auch ans Eingemachte des Daseins geht, wenn man einen dieser Bereiche ignorieren wollte.

Nicht nur, weil er sie erfunden hat, schwört Carl Djerassi auf die Pille, Beziehungen mit gutem Sex sind einfach stabiler, meint er, und gewollte Kinder sind glücklicher. Das sind zwei starke Argumente, die man sich merken sollte, wenn wieder einmal die großen Moralisten den Degen ziehen.

Carl Djerassi: This Man’s Pill. Sex, Die Kunst und Unsterblichkeit. A. d. Amerikan. von Ursula-Maria Mössner.Innsbruck: Haymon 2001. 235 Seiten. 291,- ATS. € 21,-.

ISBN 3-85218-366-9

Helmuth Schönauer 13/06/01