Teufelsschlund

An der Kippe zwischen Kind und Erwachsenwerden tickt die Welt manchmal nicht richtig, politische Zusammenhänge werden völlig schwerelos gedeutet, die engste Umgebung ist die komplette Welt, und der eigene Aufenthaltsort der Nabel des Universums.

Lù lebt im Eritrea der Fünfziger Jahre, ihre Familie ist aus der italienischen Kolonialzeit übrig geblieben. In der Hauptstadt Asmara, leicht überschwenglich "Blühender Wald" genannt, leben alle möglichen Europäer irgendwie zusammen. Bettler, Krüppel, Märchenerzähler und Straßenkinder leben wie in einer Broschüre für ‘Bruder in Not’ fröhlich durcheinander.

Zwischendurch ist von Unruhen und Massakern die Rede, aber für das erzählende Mädchen sind Schüsse und geduckt dahinpirschende Figuren nur besonders dramatisch inszenierte Teile eines Gefühlspanoramas, in dem alle Dinge märchenhaft zusammenpassen.

Hinter der Stadt, gerade noch als Schleier sichtbar, liegt der sogenannte Teufelsschlund. Selbstverständlich wird dieser Abgrund zu einer großen Projektionsfläche für Romantik, Mystik oder schlicht zum unerreichbaren Abenteuer.

Im Roman Teufelsschlund wird über die Kolonialzeit aus einer "weißen" Perspektive erzählt. Es ist immer klar, daß etwas nicht stimmt mit einer Gesellschaft, in der es Eroberer und Eroberte gibt, dementsprechend unter Anführungszeichen wird auch die Idylle des Zusammenlebens der Volksgruppen in Eritrea geschildert. Literatur wird eben immer von Siegern geschrieben, und daß die Literatur der Unterdrückten nicht auf den Markt kommt, dafür sorgen Eroberer und Sieger ein Leben lang. Der Roman Teufelsschlund umgeht diese politisch-literarische Zensur, indem er sich zeitlich, räumlich und autobiographisch weit genug von der heißen Gegenwart absetzt. Der Roman ist also auch ein Lehrstück, wie man über Kolonialismus erzählen könnte.

Erminia Dell’Oro: Teufelsschlund. Roman. A.d.Ital. von Miriam Houtermans und Andreas F. Müller. [La Gola del diavolo, 1999]

Innsbruck: Haymon 2002. 157 Seiten. € 15,90.

ISBN 3-85218-383-9

Erminia Dell’Oro, geb. 1938 in Asmara/Eritrea, lebt in Mailand.

Helmuth Schönauer 25/04/02