Neuerscheinung Herbst 2002

 

Helmuth Schönauer: Der eingecremte Blick auf Vilnius.

Roman. Erstausgabe.

Wien: edition selene 2002. 250 Seiten. ISBN 3-85266- 196-X

selene@t0.or.at

In der wirklichen Provinz fallen auch die Katastrophen höchstens grotesk aus. Als Hofer im Auftrag einer Tiroler Optik-Firma in Litauen Geräte für den neuen Blick vorstellen soll, stürzt noch während des Starts in Innsbruck die Maschine ab. Obwohl alle irgendwie etwas abbekommen, kommt niemand zu Tode, und Hofer kann mit der nächsten Maschine noch einmal an den Start gehen.

Auch Litauen ist in erster Linie Provinz, dementsprechend seltsam fallen die Begrüßungsrituale in der Hauptstadt Vilnius aus, als zwei staatstragende österreichische Dichterdelegationen zum Festival der Poesie eingeflogen werden. In der Maschine der sogenannten Grazer hat ein Oberdichter durchgedreht und bringt beinahe die sorgfältig eingefädelte Literaturgeschichte zum Kippen.

Draußen an der Memel kann Hofer endlich den Birdwatchern seine neuesten Geräte vorstellen, der neue Blick ist für die vulgäre Osterweiterung Europas von unschätzbarem Wert. Wie im straffen Wirtschaftsleben üblich kommt es schließlich zu abrupten Geschäftsabschlüssen, und Hofer bringt eine Ladung LKW-Fahrer und Nutten in den Westen zurück: Europa ist erschlossen!

Helmuth Schönauer erzählt in diesem grotesken Wirtschaftskrimi vom Design des europäischen Gefühls-, Kultur- und Bumstransfers. In kontinentalen Geschäftsabläufen entscheiden letztlich immer Tagesverfassung und Hormonspiegel der Protagonisten über den Sog vom Business. Für alle großen Ideen heißt der entscheidende Prüfstand immer Provinz.

Ganz draußen an der Peripherie, quasi zwischen Lawinenkegel und Memelschleife, erweisen sich die Gedankengebäude entweder als tragbar und erträglich oder sie brechen zusammen, mehr oder weniger geschützt durch einen Zustand des Reservats.

Selbstverständlich wird in einem irren Wirtschaftssystem der Einzelne wahnsinnig, wenn er nicht freiwillig irr wird. So führt der Protagonist Hofer elegant seine Strategien eines Unterläufels vor. Dort, wo in Arthur Millers Tod eines Handlungsreisenden die Katastrophe los bricht, geht es bei Hofer erst richtig kreativ los, nämlich im Untergrund seiner selbst.