BT-24
[Kleinstbücherei]
Eine Küche, eine Dusche und ein großes quietschendes Bett
Für den Sommer hatten wir eine eigene kleine Wohnung gefunden; im 18. Bezirk, in der Schopenhauerstraße. Es war eine 30-Quadratmeter-Wohnung mit rosaroten Wänden. Die Betriebswirtschaftsstudentin, der die Wohnung gehörte, fuhr in die Ferien nach Salzburg. Es gab eine Küche und eine Dusche, ein großes quietschendes Bett, einen Tisch, zwei Stühle und eine Stellage, vollgestopft mit betriebswirtschaftlichen Büchern, die uns nicht interessierten. Christelle räumte sie weg. Sie schob sie in Stapeln unters Bett, packte ihre eigenen französischen Bücher aus dem Seesack und stellte sie ins Regal. Das Klo war auf dem Gang.
Christelle lag den ganzen Tag im großen quietschenden Bett und las französische Literatur.
Aus:
Stephan Alfare: Karl Heinz Zizala hat Krebs. Roman. Wien: edition selene 2001. [Seite 10]
[Kurzrezension]
Nach drei schwerblütigen Erzählungen über das Leben in der Provinz und das Sterben am Zentralfriedhof, - oder auch umgekehrt! - , präsentiert der Vorarlberger Schriftsteller Stephan Alfare nun einen beeindruckenden Roman über das Leben an der Todesgrenze, die mitten durch das Ohrwaschl-Stüberl geht. "Die Figuren haben alle einen Raufhandel mit dem Tod. Tatsächlich kämpfen sie alle mit dem Tod. Aber sie kämpfen genauso mit ihrem verpfuschten Leben."(59) So lautet das Urteil eines Roman-Jurors über die Roman-Figuren bei einem Roman-Wettlesen am Wörthersee. Stephan Alfares (Jahrgang 1966) Roman besteht nämlich aus zwei Schalen, die den Blutstrom des Wiener Alkoholikermilieus abwechselnd auffangen. Der eine Erzählstrang, kursiv gesetzt, berichtet vom Leben des Schriftstellers und Alkoholikers Edi Storn, der sein Hauptquartier im Ohrwaschl-Stüberl aufgeschlagen hat. Der andere Erzählstrang, in normaler Schrift, erzählt von einem Ich, das sich als Hilfstotengräber durchschlägt. Obwohl die kursive Story im Präsens spielt, also aktuell und noch nicht abgeschlossen ist, und die fertig aufgeschriebene Story des Totengräbers im Imperfekt eine abgeschlossene Handlung mit definitiver Unverrückbarkeit der Tatsachen suggeriert, laufen die beiden Tracks immer wieder in einander über. Denn das sind offensichtlich die zentralen Fragestellungen des Romans: Was ist Wirklichkeit? Das Aufgeschriebene oder die Begleitumstände, die zum Aufschreiben führen. Was ist Stoff? Das ausgetrunkene Glas vor dem Schriftsteller oder das ausgetrunkene Glas vor dem als Totengräber hingeschriebenem Ich. So spielen auch literarische Inszenierungen immer wieder eine wichtige Rolle. Einmal etwa wird das Leseritual beim Ingeborg-Bachmann-Preis aus der Innensicht eines Teilnehmers beschrieben, wobei bereits während des Ablaufs in Echtzeit darüber reflektiert wir, was davon in welcher Form später einmal im Roman stehen wird. Eine andere sehr mit literarischen Riten behaftete Begegnung spielt sich zwischen dem Protagonisten Edi Storn und dem Vorarlberger Bestsellerautor Bobby Schuster ab, den man als Leser zumindest probehalber mit Robert Schneider substituieren darf. Die Grenzen zwischen Fake, Fakt und Fiktion sind vollkommen aufgelöst, und dabei wimmelt es nur so Realismen in Josef-Haslinger-Manier. Die Erlebnisse im Präsens werden jeweils einem konkreten Datum zugeordnet, die zur Erzählung abgepackten Ereignisse bekommen kleine Überschriften, so daß der Eindruck von gut ausgewählter Literatur entsteht. Und über diesem raffinierten Erzählplan kreisen die "Geier des niedrigen Alltags". Krankheit, Krebs, Todesangst, Fahrt in die Provinz, Lesung am Wörthersee, Friedhof lautet der imaginäre Abzählreim des Todes. Immer wieder sind fast lapidar einfache Sätze gesetzt, die beinahe die Qualität von Koans haben. Etwa wenn ein Mann eine Urne öffnet und vom Jungen singt, der nie wieder hinaus fahren soll, und niemand weint. Oder wenn der Held einmal im Jahr in die Provinz fährt, wo tief draußen seine Eltern wohnen, und er Schwierigkeiten hat, für dieses Jahr einen neuen Satz zu finden, weil alles schon gesagt ist. Stephan Alfare hat mit diesem Roman einen neuen Erzählton für die österreichische Literatur gefunden. Bald wird man zu einer Situation, die krebsig verfahren ist, sagen: Das ist "alfarisch", so wie man manches als kafkaesk bezeichnet.
Stephan Alfare: Karl Heinz Zizala hat Krebs. Roman. Wien: edition selene 2001. 119 Seiten. 205,- ATS. 15,- EU. ISBN 3-85266-142-0
Helmuth Schönauer 01/08/01