BT-38
Recherche in der Stadtbücherei für illegale Geschäfte
Janet lehnte sich aus dem Fenster und Fragte einen Passanten nach dem Weg zur Stadtbücherei. Ted kehrte mit einer Flasche Gin zum Wagen zurück: "Martinis satt."
"Womit hast du die bezahlt?", fragte Janet.
"Gar nicht."
"Ach du lieber Himmel." Sie stieg aus, ging in den Laden, um zu zahlen, und kehrte mit den Gelben Seiten zurück.
Minuten später waren sie in der Internet-Browser-Abteilung der Stadtbücherei. Im Innern der Bibliothek war es kühl, und alles wirkte durch und durch normal. Hier kanem Menschen hin, in deren Leben es nichts Ungeplantes gab, deren Familien einander zu Weihnachten CD-Boxen und originelle Pullover schenkten und die nie Unterschriften fälschten oder Affären mit Pool-Boys namens Jamine oder Buchhaltungsmiezen namens Nicole hatten. Vor der Bücherei lag Ted unter einer uralten, mit spanischenm Moos bedeckten Eiche.
Während Janet auf der Tastatur klapperte, dachte sie laut: "... Wenn dieser Babyverkäufer in Kfz-Ersatzteilen mcht, ist er höchstwahrscheinlich Republikaner. Autohändler und Autofans lieben die Republikaner - all diese Rotarier- und Kiwanier-Mittagessen und Händeschüttelfotos mit Vizepräsidenten. Also spendet er vermutlich großzügig und wohnt in einer Gegend mit vornehmer Postleitzahl." Sie suchte weiter.
Bryan sagte: "Ich glaube, ich war noch nie in einer Bücherei." In seiner Stimme lag nicht die geringste Spur von Ironie.
"Ich schon", sagte Wade. "In Las Vegas, als ich krank geworden bin. Ganz schön merkwürdig hier, was? Ich meine., all diese ... Bücher."
Die beiden Brüder verstummten.
Aus: Douglas Coupland, Alle Familien sind verkorkst. Seite 210-211
Kurzrezension
Familienzusammenkünfte sind ja mehr oder weniger ritualisiert und auch in der Literatur sind die Familientreffen meistens auf einen feierlichen Event hin ausgelegt. Was allerdings Douglas Coupland mit seiner paradigmatischen Familie Drummond aufführt, geht wirklich an die absurde Grenze von geschlossener Familien-Anstalt mit fallweise freiem Auslauf.
Die Tochter soll als Astronautin ins Weltall geschossen werden, um sich in der Umlaufbahn zu paaren und so den ersten im Weltraum gezeugten Menschen auf die Erde zurückzubringen. Aus Anlaß dieser Weltneuheit strömen die wichtigsten Familienmitglieder zusammen, um dem Start in staatstragender form beizuwohnen.
Aber die Drummonds haben schon allerhand hinter sich, zum Teil haben sie bei als Unfällen getarnten Attentaten auf einander geschossen, teils sind sie auch Opfer sinnloser Überfälle geworden. Jedenfalls sind fast alle Familienmitglieder HIV-positiv und verschlingen Unmengen von Pillen.
Um dem finanziellen Desaster zu entkommen, planen die Kids, den Abschiedsbrief von Prinz Williams an seine Mutter Diana zu verkaufen, dieser Brief soll authentisch aus dem Sarg der Lady Di stammen. Wie es die Umstände so in sich haben, will gerade die Großmutter diesen Brief, um aus den Speichelresten des Umschlages noch etwas Königliches zu klonen.
Statt bei den Startfestivitäten der Tochter die Ehre zu geben, enden die Drummonds im wahrsten Sinne des Wortes im Sumpf und warten mit Handschellen gefesselt auf die Erlösung.
In dieser skurrilen Familiensaga spiegelt sich jenes Amerika, das von einer absurden Erfindung in die nächste springt, von einer Psychose in die nächste fällt. Die Familie als Spiegelei der Nation ist vor allem Nährboden für verrückte Geschäfte und unheimliche Überlebensstrategien.
Da sich erwiesenermaßen die meisten Verbrechen im Familienkreis abspielen, ist es nur eine besonders hohe form von Fiktions-Realität, wenn die Drummonds als Parade-Amerikaner mit Querschlägern im Kopf die Küstenstraße entlang jagen. Aber auch Europa ist um nichts besser, zumal man Europäer schon aus großer Entfernung an ihren europäischem Gehabe erkennt. Und Mailand erst! Nicht einmal für künstliche Befruchtungen ist diese Stadt geeignet, und das vorerst zeugungsgebremste Paar muß die Befruchtung abends im Hotel nach der antiquierten Methode der Neandertaler vornehmen.
In allen Sequenzen klingt das große Thema Douglas Couplands an: Was muß ein gottgefälliger Mensch heute machen, damit er den Medien und damit sich selbst und Gott gefällt? - Alles, nur nichts Logisches, scheint die Antwort zu sein.
Douglas Coupland: Alle Familien sind verkorkst. Roman. A. d. Amerikan. von Tina Hohl. [All Families are Psychotic, New York 2001].
Hamburg: Hoffmann und Campe 2002. 335 Seiten. 20,50 EUR.
ISBN 3-455-01176-4
Douglas Coupland, geb. 1961, schrieb u.a. den Kult-Bestseller Generation X.
Helmuth Schönauer 23/08/02