BT-33

[Vorgelesene Bibliothek]

Neulich habe ich erfahren, daß die Zigarrenwickler, die Torcedores, die gebildetsten Menschen in Kuba sind. Das Zigarrenwickeln ist eine langweilige und mühselige Handarbeit. Man sitzt auf Bänken wie in der Schule und hantiert den ganzen Tag mit Tabakblättern. Tröstlich ist jedoch, daß es in Kuba bezahlte Vorleser gibt. Die sitzen etwas erhöht, mit Buch und Mikrophon in der Hand, und lesen vor. Und die Torcedores hören zu. [...]

Die beste kubanische Zigarre kostet angeblich vierhundert Dollar. Hätte ich etwas zu sagen, ich würde den Preis verdreifachen. Denn wenn die Torcedores in ihrem Leben ganze Bibliotheken gehört haben, dann ist es so, als hätte George Steiner persönlich eine Zigarre hergestellt.

Aus: Dubravka Ugresic, Lesen verboten S. 11-12.

[Kurzrezension]

Hinter diesem schroffen Titel in Befehlsform verbirgt sich ein grandioser Smalltalk über das Lesen, die Literatur und den Literaturbetrieb.

Die Autorin beginnt ihre Überlegungen mit einem patriotischen Gefühl. Je kleiner und abstruser die Literatur eines Landes ist, um so effizienter ist sie für das Selbstbewußtsein der Autoren. So gesehen sei die kroatische Nationalliteratur die größte der Welt. Aber die Augen der Autorin sind noch nicht zugezwinkert, da legt sie schon mit harten Fakten nach. Anhand einer modellhaften Bücherei des Balkans beschreibt sie ziemlich ernüchtert, was die Gegenwartsliteratur des ehemaligen Jugoslawiens momentan durchmachen muß. Zum einen wird ständig gesäubert, daß fast nichts übrig bleibt, zum anderen gibt es seltsam verworrene Modalitäten, wodurch jemand zum anerkannten Schriftsteller wird, und drittens stimmen die Größenordnungen zwischen Selbsteinschätzung und Außensicht überhaupt nicht. Die Schriftstelle nach dem Krieg in Jugoslawien gleichen Tieren, denen man den Schwanz der Fruchtbarkeit ausgerissen hat.

Dieser Elegie über Provinz und Balkan ist eine süffisante Betrachtung über den literarischen Marktplatz vorausgestellt. Design und Schnell-Lektorat, Stammtisch statt Schreibtisch, Glamour und geistige Ödnis sind einige Elemente, die den gegenwärtigen Literaturbetrieb ausmachen.

Und trotz dieser dekadent-düsteren Ergebnisse der Analyse gibt es immer wieder Menschen, die von der Literatur radikal in ihren Bann gezogen werden. Wie jener kubanische Kellner, der auf das Servieren vergißt, weil er hinter dem Service-Tischchen ein Buch lesen muß, das sein Leben verändern wird.

Dubravka Ugresic zeigt jenen Teil der Literatur auf, der eigentlich in den Vorabendserien und Signierstunden der Sportler erwartet wird. Aber Literatur ist längst eine Ware geworden, die nach den Gesetzen des Marktes und des Kapitals abläuft, der wahre Schriftsteller kann sich Gefühle nicht leisten. Darin gleicht er dem Sportler, der auch dann das Rennen beenden muß, wenn es ihn Gesicht voran ordentlich auf die Piste geworfen hat.

Dubravka Ugresic: Lesen verboten. A.d.Kroat. von Barbara Antkowiak.

Frankfurt/M: Suhrkamp 2002. 235 Seiten. € 22,90.

ISBN 3-518-41315-5

Dubravka Ugresic, geb. 1949 in Zagreb, lebt in Amsterdam.

Helmuth Schönauer 21/04/02