literarisches Tool 2002-01

Schmalz als Schicksal

DJ Ötzi kriegt keine Hand zu fassen und einem Halb-Wilderer bricht das aufgedunsene Herz im Gesicht

Tools haben es so an sich, daß sie kommen und gehen wie sie wollen. Gerade wenn man am wenigsten auf sie achtet, springen sie am heftigsten aus dem Gebüsch des Gefühls und umzingeln das Herz des harmlosen Users.

Schmalz ist ein Tool, in dem nicht umsonst in den Alpen die Kiachl herausgebacken werden. Selbst das Kulturhaus am Innsbrucker Rennweg stinkt noch Wochen lang nach Schmalz, wenn darin wieder einmal die beliebte Sendung Kiachl mit Kiachl aufgenommen worden ist. Nichts ist so auf Schmalz spezialisisert wie die ehemals öffentlich rechtliche Sendeanstalt ORF, die mittlerweile zu einer vom Wildwuchs der Marktwirtschaft durchgesponserten Krapfenbude der Kultur mutiert ist.

Schmalz ist immer auch in der Nähe vom Mythos angesiedelt. Und ein Land, das so stark mit dem Mythos des Besonderen arbeitet und dessen Bewohner täglich ein Vollbad im Mythos der Unverletzbarkeit nehmen, so ein Land ertrinkt an manchen Tagen im eigenen Schmalz.

Zwei Schmalzhappen der Extraklasse fielen dieser Tage als Sternschnuppen einer vollkommenen Glücksvibration vom Firmament der Kreativität und den Tirolern direkt von hinten in die Schuhe, wo man normalerweise den Schuhlöffel ansetzt.

An der Archillesferse des Gefühls getroffen, bekamen die Patrioten zwei Arten des Schmalzes in Perfektion vorgeführt.

Einmal schrieb der Schmalz-Oberkellner des Landes sein bestes Stück, im Film "Elvis lebt" griff Felix Mitterer in alle Tuben des Gefühls und setzte ein Drehbuch auf, das eine gelungene Überhöhung des Heimat- und Wildererfilms für die Leinwand eröffnete. In einem Mix aus Tatort, Osttiroler Wilderer-Saga, Piefke die neunte und "der große Bergdoktor mit den flachen Schuhen" kriegt eine frische Kommissarin einen verzwickten Fall, der sich aber von alleine löst, wenn man die Schmalztube mit der Öffnung nach unten lange genug in der Hand hält. Und der Inhalt war pures Gefühl, verschmähte Liebe, frustrierendes Häuslbauerschicksal, elegante Erotik am Land und der Mythos vom Elvis, der mit jedem Jahr, wo er in der Gruft in Memphis liegt, an Stimme zulegt. Und unvergeßlich für die Filmgeschichte des alpinen Abendlandes bleibt Elmar Drexel, dessen vom Schicksal aufgedunsenes Gesicht ein wenig an Rainer Werner Faßbinder erinnert, wenn er in einer Nacht drei Filme fertig gedreht hat. Dieser Elmar Drexel spielt einen kaputten Alpenbewohner, dem alles daneben geht, der in den Spiegel schaut und über sich so heftig weint, daß der Spiegel zerbricht. Das ist eine Jahrhundertleistung an positivem Schmalz! Ganz am Rand der Seele, wo sich der Abgrund schon auftut, stockt nämlich das Fett des Daseins und wird zu einem Tool der Erkenntnis. Für das Drehbuch zu diesem Film verzeiht man Felix Mitterer manch blödes Bühnenspektakel der gaismairschen Art , und Elmar Drexel ist sowieso der Hamlet im Gebirge, der jeden Tag an der Grenze zum Abgrund spielt, und meistens allein ist, denn ab einer gewissen Fallhöhe wird es dem Publikum zum Zuschauen zu gefährlich und es bleibt zurück in gesicherter Beobachtungs-Etappe.

Neben diesem wunderbaren Tool der positiven Art, muß nun auch ein Schmalz-Tool der nagetiven Art vorgestellt werden. Das geht aber ganz schnell.

In einem Interview beklagt sich der unsäglich am Kopf verzipfelte Mützenträger DJ Ötzi darüber, daß man ihn im Innsbrucker Milchstadion mit Milchpackerln beworfen habe und daß ihm außerdem der Landeshauptmann nicht einmal die Hand gereicht hätte. Also bei diesem Schmalz der ranzigen Art ist ein doppeltes Bravo fällig. Bravo Publikum, daß du endlich weißt, was man mit diesen komischen Milchpackerln machen muß, und Bravo Landeshauptmann, daß du in extremen Stunden der perversen Herausforderung ein beruhigendes Niveau der Erkenntnis hast.

Ein gutes Tool endet gerne mit Bravo-Rufen!

Helmuth Schönauer 03/01/02