literarisches Tool 2001-04
Ort und Zeit erhöhen die Glaubwürdigkeit
Behauptungen, die ohne genaue Orts- und Zeitangaben aufgestellt werden, wirken bald einmal missionarisch und dadurch unglaubwürdig. Menschen sollen sich nicht klonen, die Bevölkerung soll sich sprunghaft vermehren, das Budget soll eine Null sein. Solche Sätze sind nicht dazu angetan, uns zu überzeugen. (Das ist zum Beispiel auch so ein Satz, wenn auch leicht verschleiert durch eine germanistisch fetischierte Satzstellung.) Für die Glaubwürdigkeit gibt es einen guten Trick. Er heißt Realismus und lechzt nach wahrscheinlichen Orts- und Zeitangaben. Ein Meister hoher Wahrscheinlichkeit ist Josef Haslinger, der als Lehrmeister der universal-sozialistisch-realistischen Dichtung gilt. Josef Haslinger beginnt seine Essays (etwa im Sammelband "Klasse Burschen", Fmf 2001) meist mit einer Beschreibung seiner Situation, was die Glaubwürdigkeit ungemein erhöht, denn der Leser rechnet sich sofort seine eigene Lage und seinen gegenwärtigen Zustand aus. Die Differenz zwischen der Alltags-Lage des Lesers und der Essay-Lage Josef Haslingers bestimmt schließlich die Fallhöhe der Erkenntnis. Meistens ist Josef Haslinger auf dem Weg nach Österreich, auf einem Transatlantik-Flug auf der Gangseite, in einem Hotelzimmer, worin bereits einmal Jörg Haider geschlafen hat oder schlicht an einer Autobahnkreuzung auf dem Weg nach Weimar. Bei solchen Gelegenheiten fällt Josef Haslinger automatisch etwas ein, was dem Leser nicht einfällt, da dieser gerade in der Höttinger Au auf den "R" wartet, in der Museumstraße verzweifelt einen Zwanzger-Verkäufer sucht oder von der Marlene-Streeruwitz-Lesung in der Wagner'schen überrascht wird. So ist es kein Wunder, dass Josef Haslinger stets über Österreich nachdenkt, während der Leser meist ziemlich gedankenlos in diesem Österreich wohnt. Vor lauter Situationsangaben merkt der Leser erst spät den fundamentalen Unfug Josef Haslingers. Dieser behauptet nämlich, dass an allem Jörg Haider als These oder Antithese schuld sei. Wenn also im Innenhof eines Gebäudes das sprichwörtliche Fahrrad umfällt, so ist es mit Gewisßheit Jörg Haisder gewesen, dem das Fahrrad auf den Leim gegangen und umgefallen ist, weil es den inneren Halt verloren hat. Für gute Argumentationen sollte man künftig das literarische Tool Josef Haslingers nützen. Ganz egal, was man denkt, wichtig ist, wo und wann der Gedanke aufgetreten ist. Nicht sagen, ich bin in die "Dreier" eingestiegen und zum Friedhof gefahren, die korrekte Aussage lautet: Angesichts der politischen Situation in Österreich beschloß ich am Dienstag von der klavierverseuchten Hofburg kommend, in die "Dreier" einzusteigen und in Richtung Friedhof zu fahren. Es war Sommerzeit und trüb, was der politischen Lage Österreichs entsprach.
[Helmuth Schönauer]