literarisches Tool 2001-02

In Innsbruck soll die Füllfeder neu erfunden werden

Das Auslaufmodell "Stadtschreiber" klopft an die Pforten der Provinz-Hauptstadt, erste Innsbrucker Stadtschreiberin soll ab 1. April 2001 die Südtiroler Autorin Sabine Gruber sein.

- Jede Zeit hat ihre Epochen und nach Speedy-Khol, dem schnellsten Clubobmann aller Zeiten, auch ihre eigenen Wahrheiten. Nach der Zeit der Literaturzeitschriften, Kleinverlage, Literaturhäuser und Stadtschreiber sind momentan Literaturgalerien der Dernier cri. Allein daß die Stadt Innsbruck sich jetzt mit der Stadtschreiberei beschäftigt, zeigt, wie zeitlos daneben sie ist.

- Ehe man als Innsbrucker Schriftsteller überhaupt einen Gedanken fassen kann, muß man zuerst seiner Wut Ausdruck verleihen. Allein beim Anblick der Mappen mit den abgelehnten Literatur-Projekten durch die Stadt kommt so manchem ehemals so zuversichtlichen Autor die gesamte Rossau hoch.

- Literatur-Streetworker und Privatisierungs-Heinis ziehen ausnahmsweise an einem Strang. Sie schlagen der Stadt Innsbruck nämlich vor, sie soll ein kulturelles Klima schaffen, damit sich sogenannte Stadtschreiber von selbst und freiwillig ansiedeln. Denn in der jetzigen Atmosphäre muß jeder Aufenthalt in Innsbruck als Strafe empfunden werden.

- Bei den Stadtschreibern hat sich ähnlich wie im Eishockey ein gewisser kontinentaler Pool entwickelt, aus dem die einzelnen Provinz-Nester ihre jeweiligen Canadian-Cracks der Saison rekrutieren. Im germanistisch-sprachigen Raum schwirren einige Stadtschreiber von Stadt zu Stadt und sammeln Schreiberstellen wie Wandernadeln.

- Da bereits in Schwaz eine Stadtschreiber-Haltestelle existiert, sollte man sich eher dem ÖBB-Modell der Schließung von Bahnhöfen anschließen und zumindest in Innsbruck keine neue Haltestelle für Stadtschreiber aufmachen.

- Allein die Vorstellung, den Ankick der Stadtschreiber-Meisterschaft von Sabine Gruber vornehmen zu lassen, kann nur in der Hauptstadt der Provinz entstehen. Jemand, der in Innsbruck studiert hat, und dann mit gutem Grund das Milieu gewechselt hat, würde es wohl als Verhöhnung auffassen, würde man ihm diese Innsbrucker Stadtschreiberei anbieten.

- Soeben hat eine Germanistenjury Norbert Gstrein dafür mit dem Kunstpreis des Landes ausgezeichnet, daß er aus Tirol verschwunden ist, und jetzt will man jemanden mit einem "germanistisch-reinen (= gstreinen)" Literaturbegriff nach Innsbruck holen, das kann doch nur ein literarisches Gerücht sein.

- Bevor man nun dem Innsbrucker Gemeinderat, dessen Mitglieder - außer der Grünen Fraktion - keine Literatur lesen, eine Abstimmung über Stadtschreiberei antut, sollte man tatsächlich die Augen schließen und etwas Literarisches beschließen.

Wenn man davon ausgeht, daß in Innsbruck etwas Authentisches zwischen der Stadt und der Literatur erfolgen soll, bieten sich für die Stadtschreiberei folgende Kategorien an:

1. versteckter Refugee / Der Versuch, einen Stadtschreiber vor der Bevölkerung zu verstecken, ist mit Bosko Tomasevic hundertprozentig gelungen. Er hat vermutlich erst bei seiner Abreise erfahren, daß er der Stadtschreiber in Innsbruck gewesen sein soll. Zur Stunde weiß allerdings niemand, wie viele geheime Stadtschreiber in der Stadt ihr Vers-Wesen treiben.

2. öffentlicher Refugee / Ein verfolgter Schriftsteller nach UN-Konvention (und nicht nach Brenner-Archiv-Definition) ist in der Stadt zu Gast und genießt den ermunternden Schutz, der für eine Weiterführung der Arbeit notwendig ist. Zumindest am Beginn und am Ende gibt es einen öffentlichen Kontakt mit der Bevölkerung, die produzierte Literatur wird veröffentlicht.

3. AutorIn im öffentlichen Raum / Oft sind AutorInnen so verhaltensgestört, daß es egal ist, in welcher Wohnung und in welchem Stadtteil sie sich abkapseln. Von einer(m) Innsbrucker StadtschreiberIn sollte ein Mindestmaß an Zutraulichkeit zur Bevölkerung erwartet werden dürfen. In einer ersten Tranche sollte man vielleicht AutorInnen in Betracht ziehen, die bereits im öffentlichen Raum literarisch gearbeitet haben. Walter Grond, Alfred Goubran, Ilse Kilic, Miriam Unger, Ulrich Gabriel aus dem österreichischen Umfeld etwa.

4. AutorIn der literarischen Osterweiterung / Innsbruck als die Hauptstadt des Transits könnte Autoren der neuen EU-Länder als Stadtschreiber aufnehmen, damit diese den im Elend Daheimgebliebenen erzählen können, welche Glorie sie in der EU erwarten wird. Bei dieser Gelegenheit könnten EU-strategische Maßnahmen gesetzt werden, die bislang nicht einmal auf dem Papier stehen. Während der siebenjährigen "Übergangsfrist" für die neuen Länder könnte es in Innsbruck einen "erweiterten OstschreiberIn" geben.

5. germanistische Notlösung / Wenn der Gemeinderat tatsächlich keine Phantasie hat und einen kuschelweichen Literaturmacher mit viel Perspektivenwechsel (Muster Gstrein) haben will, sollte man diesen Stadtschreiber jeweils einem aktiven Literaturfeld zuordnen und von diesem bestellen lassen. Im Dreierradl könnten jeweils das Literaturhaus am Inn, das Kulturgasthaus Bierstindl und das Treibhaus einen Stadtschreiber auswählen und auch ein Jahr lang mit ihm zusammenarbeiten. Der Stadtschreiber müßte zumindest ab und zu mit der Bevölkerung in Berührung kommen.

Jemanden wie Sabine Gruber auszuwählen, damit sie hermetisch und wohl auch abgehärmt ihr Werk zu Ende bringt, ist für die Bevölkerung keine ideale Lösung, weil diese mit reiner Literatur mit viel Perspektivenwechsel gnadenlos überfordert ist. Literatur muß sich nicht ex kathedra gegen die Bevölkerung richten. Außerdem müßte wohl der Bürgermeister aus seiner Privatschatulle die 5000,- ATS dafür zahlen, daß die ehemalige Studentin ihren Hauptwohnsitz in Innsbruck aufschlägt.

Wer sich unbedingt von Innsbruck inspirieren lassen will, dem könnte man ja eine Video-Cassette von Innsbruck zuschicken, dann schreibt er wie von selbst um sein Leben.

Dieser konventionelle Stadtschreiber-Zug ist längst abgefahren, aber es bleibt zu befürchten, daß man ihn genau deshalb jetzt in dieser Form in Innsbruck installiert. Wenn es um Konvention geht, warum nicht überhaupt jeweils ein Viertel des Literarischen Quartetts jeweils ein Vierteljahr nach Innsbruck holen, dann wäre das literarische Jahr auch um?

Helmuth Schönauer 02/02/01