literarisches Tool 2001-01

Übergabe eines Landes-Preises an einen Dichter, der sich bei der Namensnennung dieses Landes übergibt

Nach dem Spruch, wem Gott schickt ein Häschen, dem schickt er auch ein Gräschen, wäre das Gräschen das literarische Tool. Also, wer immer mit Literatur in Berührung kommt, kommt auch mit literarischen Tools oder Begleiterscheinungen in Berührung. Im Bibliothekswesen gilt die Faustregel, daß bei der Entscheidung, welches Buch entlehnt wird, der reine Text an sich höchstens zu zehn Prozent ausschlaggebend ist. Ambiente, Marketing, Buchumschlag, Placement und letztlich die Selbst-Inszenierung des Autors sind die Hauptursache, warum jemand ein Buch entlehnt oder nicht. Ein schönes Tool, das im alten Jahr noch einmal die literarischen Herzen hat höher schlagen lassen, war die Überreichung des Kunstpreises 2000 an Norbert Gstrein. Die Zeremonie ist so ein Tool, mit dem der Winter-Reifen Marke "Gstrein" an das Auto Marke "Tirol" geschraubt wird. Das heißt, es wird mitgeteilt, welche Kriterien der Reifen zu erfüllen hat, daß er an das Fahrzeug geschnallt werden kann, immerhin braust die heimische Kultur mit ihren Preisträgern durch die Wüste wie mit einem frischen Reifensatz. Den normalen und verständlichen Teil der Zeremonie hatte der neue Kulturlandesrat Günther Platter übernommen. Er freute sich schlicht und zählte die bisherigen Preisträger auf, damit sich die Tiroler einen Reim machen konnten, in welcher Ahnenreihe Gstrein jetzt hängen würde. Im Sinne des "Gestiefelten Katers" romantisch-ironisch benahmen sich hingegen Laudator und Preisträger. Der Laudator Sigurd Paul Scheichl lobte Gstrein, bezeichnete ihn als den Dichter der Perspektive und legte einen tollen Essay hin, in dem er über die Perspektive des Selbstporträts oder das undefinierte Verbrechen Jakobs im Erstling "Einer" räsonnierte. Wenn man jetzt explizit formulieren müßte, was implizit zur Verleihung eines Kunstpreises führt, so ergeben sich für die nächsten Preis-Kanditaten folgende Richtlinien: - Der Kandidat muß bei Suhrkamp sein. Basta. (Die Innsbrucker Germanistik mit den 68er Jahresringen hat noch nicht geschnallt, daß Suhrkamp einmal eine Monopolmacht gewesen ist, spätestens aber seit dem Putsch und der Nothochzeit mit der Autorin Ulla Berkewicz ein literarisches Programm forciert, das typischen Germanistenroman hervorwuchtet: Einen Abend lang lesen und eine Woche darüber reden!) - Der Kandidat muß Tirol verlassen haben. (Eh klar, wie will jemand im Inneren einer Schachtel einen Überblick über die Schachtel haben, das wäre ja die Transzendenz der Schrödinger-Katze.) - Der Kandidat darf nichts über Tirol schreiben. (Da Tirol Provinz ist, wäre eine Auseinandersetzung damit in höchstem Maße provinziell. Die Juroren wollen ja auch einmal nach Hamburg eingeladen werden, da ist Weltblick gefragt und nicht Tirol.) - Der Kandidat muß schon andere Preise gewonnen haben. (Kein Juror, schon gar kein Tirolischer, getraut sich, etwas Unbekanntes selbst zu beurteilen. Erst wenn der halbe Kontinent bereits eine Leistung für preiswürdig erachtet hat, haut sich der einheimische Juror aufs Preis-Packl und stimmt zu.) - Der Kandidat darf nichts, aber schon gar nichts als Literatur schreiben! (So lange sich das Preiskarrussel dreht, mag die Hinwendung an die reine Literatur gelingen. In der Innsbrucker Germanistik wird immer noch der Genie-Begriff sinnlos forciert. Entweder rein dichten wie Gstrein oder sich niedersaufen wie Kaser, eine dritte Möglichkeit haben die Juroren, die ja selbst zwischen diesen Extremen hin- und hergerissen sind, noch nicht in Betracht gezogen.) - Der Kandidat soll mit mindestens drei Anekdoten behaftet sein, um ihn neben der reinen Literatur auch als Mensch zeigen zu können. (Im Falle Gstrein sind dies: der völlig abstruse Geburtsort Mils, der mit einem Schikörper ausgestattete Bruder und die Abscheu vor der Innsbrucker Uni.) Der nächste Preisträger, wenn wieder die Literatur an der Reihe ist, wird übrigens Alois Hotschnig heißen. Der Tirol-Ekel Gstreins wird in eine Tirol-Euphorie Hotschnigs umgemünzt, so daß man seinen freiwilligen Aufenthalt in Tirol für die Laudatio verwenden kann. Suhrkamp ist durch Kiepenheuer zu ersetzen, sonst paßt, wenn man die Geistesbeharrlichkeit Tirols bedenkt, bereits jetzt alles. Man könnte morgen schon wieder einen Kunstpreis übergeben. Der Preisträger Norbert Gstrein selbst kramte schließlich in Columbo-Manier nach seinem Satz, den er sich schon einmal notiert hatte und der vielleicht heute passen könnte. Als literarischer Mensch stellte er fest, daß Tirol Tirol ist und Geld Geld. Im übrigen betrachtete er die Urkunde als Entlassungsschein aus Tirol, womit er sich einen Traum erfüllte, den die baffen Dableiber sich noch nicht gertraut haben, ebenfalls zu erfüllen. Die Szene erinnerte an die Übergabe einer Bombe an einen irischen Freiheitskämpfer, das ganze Land wünschte sich, wenigstens einer möge durchkommen, etwas in die Luft sprengen und irgend etwas befreien. Im Zeremonien-Umfeld gelangen Norbert Gstrein noch zwei literaturhistorisch wertvolle Sätze. Einmal bemerkte er, daß in Tirol fast alles über Verwandtschaft und Connections geregelt werde, was bei der Halbwertszeit der Gstreinschen Literatur fast als politische Aussage zu werten ist. Der zweite Satz lautete sinngemäß, daß ein Aufsatz in der Zeitung vor allem Literatur sein soll und eigentlich keinen Inhalt hat. Das politische Bewußtsein oder wenn man will: das Rückgrat ist sinngemäß eine ästhetische Erscheinung. Wer die schönsten Lendenwirbel hat, hat auch die größte Moral, so die Botschaft nach Gstrein. Man sieht, ein gutes Tool läßt niemanden cool!

[Helmuth Schönauer]